Leitender Notarzt (Empfehlungen BÄK)
(1. Juni 2000)
D. Stratmann, P. Sefrin
Die Empfehlungen der Bundesärztekammer zur Fortbildung zum „Leitenden Notarzt“ (Dt. Ärztebl. 85 (1988) Heft 8, A – 454)
Die in den letzten Jahren zunehmend häufiger werdenden Großschadensereignisse, bei denen der Rettungsdienst sich plötzlich einer größeren Zahl Verletzter oder akut Erkrankter gegenübersah, ließ die Forderung nach einem Arzt laut werden, der aufgrund seiner Fortbildung in der Lage sein sollte, den medizinischen Hilfseinsatz unterhalb der Katastrophen-Schwelle zu koordinieren und zu leiten.
Beratungen zur Konzeption einer Fortbildung für den Leitenden Notarzt wurden zum einen in der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivmedizin (DIVI), zum anderen in einem Arbeitskreis im Rahmen der Arbeit des Ausschusses und der Ständigen Konferenz „Verkehrs- und Notfallmedizin“ aufgenommen. Die Empfehlungen der Bundesärztekammer zum Leitenden Notarzt und die Empfehlung der DIVI zum gleichen Themenkomplex sind inhaltlich identisch. Die Empfehlung der DIVI stellt die fachliche Basis dar, auf der die Empfehlungen der Bundesärztekammer zur Fortbildung zum Leitenden Notarzt fußen.
Im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung liegt die Durchführungszuständigkeit für Fragen des Rettungsdienstes bei den Bundesländern und für diese in Auftragsverwaltung bei den Kreisen und kreisfreien Städten. Die wirksame Tätigkeit des Leitenden Notarztes wird entscheidend davon bestimmt, dass er durch die genannten Behörden berufen und mit der erforderlichen Kompetenz ausgestattet wird. Hierzu bedarf es der Schaffung der notwendigen rechtlichen Regelungen.
Die Empfehlungen
In den vorangestellten Erläuterungen zu den Empfehlungen wird klargestellt, dass der Leitende Notarzt im Rahmen des Rettungsdienstes tätig wird. Er greift in seiner Stellung und Funktion nicht in bestehende Strukturen und gesetzliche Bestimmungen des Katastrophenschutzes ein, zumal er typischerweise unterhalb der Katastrophenschwelle tätig wird.
Der besonderen Stellung und Verantwortung des Leitenden Notarztes entsprechend, werden Voraussetzungen für den Einsatz als Leitender Notarzt aufgestellt. Zur Sicherstellung einer entsprechenden aktuellen Erfahrung in Fragen des Rettungsdienstes muss der Leitende Notarzt regelmäßig im Rettungsdienst tätig sein. Dies bedeutet nicht, dass er täglich diese Aufgabe selbst übernimmt. Auch Ärzte die als Leiter eines Notarztdienstes gelegentlich selbst Einsätze übernehmen, sind kontinuierlich im Rettungsdienst tätig. Durch diese Regelung soll erreicht werden, dass nur mit dem Rettungsdienst verbundene Ärzte mit den Aufgaben des Leitenden Notarztes betraut werden können. Neben anderen in den Empfehlungen genannten Voraussetzungen muss eine spezielle, geordnete Fortbildung entsprechend den vorgelegten Empfehlungen nachgewiesen werden.
Die Aufgaben des Leitenden Notarztes erstrecken sich auf Beurteilung der Lage, den Entschluss zur Lösung der vorgefundenen medizinischen und organisatorischen Aufgaben sowie auf die Formulierung der notwendigen Anordnungen. Hierzu ist die Koordination mit der Gesamteinsatzleitung notwendig.
Der Stellung des Leitenden Notarztes kommt besondere Bedeutung zu. Die wirkungsvolle medizinische Abwicklung einer Schadenslage mit vielen Verletzten oder akut Erkrankten ist nur möglich, wenn dem Leitenden Notarzt die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderliche Kompetenz eingeräumt wird. Die hierzu notwendigen, noch ausstehenden Regelungen, sind im Zuge der Bestellung von Leitenden Notärzten durch die Träger des Rettungsdienstes zu schaffen.
Der sinnvolle Einsatz des Leitenden Notarztes erfordert die stetige Einsatzbereitschaft und für den Einsatz eine persönliche Ausrüstung, die den Erfordernissen des Dienstes entspricht.
Die Alarmierung des Leitenden Notarztes soll entsprechend den Empfehlungen des Einsatz-Kataloges gehandhabt werden, da hierdurch sichergestellt wird, dass einerseits der Leitende Notarzt nicht bei Bagatelleanlässen alarmiert wird, andererseits aber die Alarmierung so häufig erfolgen kann, dass auch praktische Erfahrungen im Einsatzablauf gesammelt werden können und rechtzeitig lenkend in die medizinische Einsatzabwicklung eingegriffen werden kann.
In der Fortbildung des Leitenden Notarztes muss eine ergänzende medizinische Fortbildung unter dem Gesichtspunkt der Bewältigung des Massenanfalls Verletzter und akut Erkrankter vermittelt werden. Die Vermittlung der Einsatz- und befehlstaktischen Grundlagen sowie die Kenntnisse der einschlägigen Gesetze und Verordnungen ist unabdingbar.
Hinzu kommen notwendige Kenntnisse in der Technik des Rettungsdienstes und der im Einsatzfall miteinander arbeitenden Behörden und Organisationen.
Übungen im Rahmen von Planspielen sollen die Umsetzung des theoretischen Wissens erleichtern.
Für die Fortbildung Leitender Notarzt sind 40 Stunden vorgesehen.
Den Landesärztekammern wird die Regelung der Fortbildung zum Leitenden Notarzt übertragen. hierbei erscheinen zwei Wege praktikabel: Zum einen können die Landesärztekammern mit ihren Akademien für Ärztliche Fort- und Weiterbildung als Veranstalter auftreten. Zum anderen kann es ebenso zweckmäßig sein, die Arbeitsgemeinschaft der Notärzte mit der Durchführung der Fortbildung in Zusammenarbeit mit den Akademien für Ärztliche Fort- und Weiterbildung zu beauftragen. Die entstehenden Aufwendungen für die Fortbildung können den Teilnehmern in Form von Seminargebühren in Rechnung gestellt werden. Die Teilnehmer könnten diese Gebühren im Rahmen individueller Vereinbarungen den Behörden, die sie als Leitende Notärzte bestellen, zur Erstattung vorlegen.
Die Landesärztekammern sollten eine Vereinbarung treffen, dass bei Einhaltung des vorgegebenen Curriculums und der vorgegebenen Stundenzahl die Fortbildungen zum Leitenden Notarzt wechselseitig anerkannt werden. Erforderlich ist allerdings, dass die Detailkenntnisse der regionalen Infrastruktur des Rettungs- und Gesundheitswesens jeweils am Tätigkeitsort des Leitenden Notarztes erworben werden.
Im Rahmen einer Übergangsbestimmung bis 6 Monate nach Veröffentlichung der Empfehlungen können bereits bestellten Leitenden Notärzten die Teile des Ausbildungscurriculums angerechnet werden, welche der Landesärztekammer oder der gegebenenfalls bestellten Arbeitsgemeinschaft der Notärzte als erfüllt nachgewiesen werden.
Mitglieder des Arbeitskreises:
Dr. med. Chr. Biesing †, Arzt für Chirurgie. Chefarzt der Chirurgischen undd Unfallabteilung Sana-Krankenhaus Hürth, Stellv. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Notärzte in Nordrhein-Westfalen.
Dr. med. M. Harloff, Arzt für innere Medizin. Oberarzt der Med. Klinik, Klinikum der Stadt Ludwigshafen. Vorsitzender der Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften Notärzte Deutschlands.
Prof. Dr. med. P. Sefrin, Arzt für Anästhesiologie. Oberarzt am Institut für Anästhesiologie der Universitätskliniken Würzburg. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte.
Dr. med. D. Stratmann, Arzt für Anästhesiologie. Chefarzt des Institutes für Anästhesiologie, Klinikum Minden. Stellv. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Notärzte in Nordrhein-Westfalen.
Dr. med. P. Voeltz, Arzt für Anästhesiologie. Chefarzt der Anästhesieabteilung, Berufsgenossenschaftliches Unfallkrankenhaus Hamburg. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft in Norddeutschland tätiger Notärzte.
Geschäftsführung:
Dr. med. P. Knuth, Arzt für Anästhesiologie. Ärztlicher Geschäftsführer in der Bundesärztekammer.
Leitender Notarzt
Empfehlungen der Bundesärztekammer in Übereinstimmung mit Empfehlungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivmedizin (DIVI).
Der „Leitende Notarzt“ (LNA) wird im Rettungsdienst tätig. Die Empfehlungen beziehen sich auf seinen Einsatz unterhalb der Schwelle zur Auslösung des Katastrophenalarms und somit primär beim Massenanfall Verletzter und akut Erkrankter oder bei besonderen Gefahrenlagen.
Die Bezeichnung „Leitender Notarzt“ sollte nur führen, wer eine Funktion entsprechend der folgenden Empfehlungen ausübt. Die erforderlichen Regelungen sind zu schaffen.
Definition des Leitenden Notarzt
Der Leitende Notarzt (LNA) übernimmt Leitungsaufgaben im medizinischen Bereich beim Massenanfall Verletzter und Erkrankter sowie bei außergewöhnlichen Notfällen und Gefahrenlagen. Er hat alle medizinischen Maßnahmen am Schadensort zu leiten, zu koordinieren und zu überwachen.
1. Voraussetzungen für den Einsatz als Leitender Notarzt
1.1 Der LNA muss umfassende Kenntnisse in der Notfallmedizin besitzen und regelmäßig im Rettungsdienst tätig sein
1.2 Der LNA muss den Fachkundenachweis „Rettungsdienst“ besitzen oder eine gleichwertige Fortbildung nachweisen
1.3 Der LNA muss eine spezielle Fortbildung entsprechend den Empfehlungen der Bundesärztekammer nachweisen
1.4 Der LNA muss über Detailkenntnisse der regionalen der regionalen Infrastruktur des Rettungs- und Gesundheitswesens verfügen
1.5 Der LNA muss sich in Fachfragen seines Aufgabengebietes fortbilden
1.6 Der LNA soll eine Gebietsanerkennung eines Gebietes mit Tätigkeit in der Intensivmedizin besitzen
2. Aufgaben des LNA
2.1 Beurteilung der Lage
2.1.1 Taktische Lage
- Art des Schadens
- Art der Verletzungen / Erkrankungen
- Anzahl Verletzter / Erkrankter
- Intensität / Ausmaß der Schädigung
- Zusatzgefährdungen
- Schadensentwicklung
2.1.2 Eigene Lage
- Personalkapazität
- Materialkapazität
- Transportkapazität
- Zusatzgefährdungen
- Stationäre und ambulante Behandlungskapazität
2.2 Feststellung des Schwerpunktes und der Art des medizinischen Einsatzes
- Sichtung
- Medizinische Versorgung
- Transport
2.3 Durchführung des medizinischen Einsatzes
- Festlegung der Behandlungs- und Transportprioritäten
- Festlegung der medizinischen Versorgung
- Delegation medizinischer Aufgaben
- Festlegung der Transportmittel und Transportziele
- Festlegung medizinischen Materials und Materialbedarfs
- Medizinische Dokumentation
2.4 Koordination mit der Einsatzleitung
2.5 Beratung in medizinischen Fragen
3. Stellung des LNA
3.1 Der LNA wird im Einsatz im Rahmen des Rettungsdienstes tätig
3.2 Die Bestellung zum LNA erfolgt durch die für den Rettungs- bzw. Notarztdienst zuständige Behörde
3.3 Der LNA ist im Rahmen seines Auftrages weisungsbefugt in allen medizinischen Angelegenheiten. Insbesondere hierzu sind die erforderlichen Regelungen zu schaffen
3.4 In der Einsatzleitung vor Ort leitet er die medizinischen Maßnahmen
3.5 Der LNA ist darüber hinaus Berater in medizinischen Fragen.
4. Alarmierung und Einsatz des leitenden Notarztes
4.1 Für jeden Rettungsdienstbereich muss jederzeit ein LNA verfügbar sein
4.2 Die Alarmierung des LNA soll erfolgen, wenn seine koordinierende Führung erforderlich ist
- bei Schadensereignissen, bei denen die Anzahl der Verletzten oder Erkrankten oder die Schwere der gesundheitlichen Schädigung die reguläre Kapazität des Notarztdienstes übersteigt
- bei Schadensereignissen, bei denen mit gesundheitlicher Gefährdung einer größeren Personenzahl gerechnet werden muss
- wenn die vermutete Schwere der Verletzung / Erkrankung oder der notfallmedizinische Versorgungsumfang die reguläre Kapazität des Notfalldienstes übersteigt
- auf Anforderung eines Notarztes oder einer Einsatzleitung
4.3 Die Alarmierung des LNA erfolgt über Funkmeldeempfänger durch die Rettungsleitstelle. Sie stellt die unverzügliche Beförderung des LNA zum Schadensort sicher.
5. Ausrüstung
Als Mindestausrüstung stehen einem LNA zur Verfügung:
- Funkmeldeempfänger des Rettungsdienstes
- Dienstausweis mit Lichtbild
- Schutzkleidung (gemäß UVV: Stiefel, Handschuhe, Schutzjacke und Schutzhelm mit reflektierender Kennzeichnung „Leitender Notarzt“)
- Handfunksprechgerät
6. Fortbildung des LNA
6.1 Medizinische Fortbildung
- Kriterien der Sichtung Verletzter und Erkrankter
- Kriterien der medizinischen Versorgung und der Bedingungen des Massenanfalls
6.2 Gesetzliche Grundlagen und Verordnungen
- Rechtsgrundlagen für den Einsatz des LNA
- Struktur der Katastrophenabwehr (Katastrophenschutzgesetze)
- Organisationsstruktur von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst sowie der Hilfsorganisationen
6.3 Einsatztaktik
- Grundlagen der Führungslehre und der rettungsdienstlichen Versorgung
- Koordination mit anderen Einsatzdiensten
- Dokumentation
6.4 Technische Fortbildung
- Geräte und Fahrzeuge für die Rettung und die technische Hilfeleistung
- Fernmeldewesen
6.5 Übungen
- Funkübung
- Planspiel:
- Großschadensfall
- Gemeinsame Einsatzlenkung
6.6 Diese Fortbildung umfasst 40 Stunden und findet in Seminarform statt.
Die Landesärztekammern regeln die Durchführung.