Der Innen- und Kommunalausschuss des Thüringer Landtags hat in seiner 29. Sitzung am
27. Januar 2022 beschlossen, zu seinem Beratungsgegenstand

Rettungsdienstabdeckung in ganz Thüringen sicherstellen – Rettungswesen und -personal ertüchtigen

Antrag der Fraktion der CDU

– Drucksache 7/3391 –

Nummern I und III

ein schriftliches Anhörungsverfahren durchzuführen.

Der Ausschuss bittet Sie, Ihre Auffassung zu den Nummern I und III des oben genannten Antrags in Drucksache 7/3391 (Anlage 2) schriftlich zu äußern.

Stellungnahme zum schriftlichen Anhörungsverfahren Rettungsdienstabdeckung in ganz
Thüringen sicherstellen – Rettungswesen und -personal ertüchtigen

Sehr geehrter Herr Ministerialrat Stöffler,
Sehr geehrter Herr Schmitter,

wir danken Ihnen herzlich für die Gelegenheit der Anhörung und nehmen in Bezug auf die
Drucksache 7/3391 des Thüringer Landtages wir wie folgt Stellung:

I. Der Landtag stellt fest, dass

1. die Notfallversorgung der ersten Minuten oftmals entscheidend für mögliche
Behandlungserfolge ist

Die BAND e.V. stimmt dieser Feststellung aus fachlicher Sicht zu. Gerade für unmittelbar
lebensbedrohliche Zustandsbilder haben die ersten Minuten einen großen Einfluss auf das
Outcome. Daher gewinnen Ersthelfersysteme (bspw. AppRetter o.a.) ebenso wie die Schulung der
Bevölkerung eine besondere Bedeutung in diesem Bereich.
Im Bereich der professionellen Helfer ist die Hilfsfrist eine übliche Bemessungsgröße. Sie hat einen
unmittelbaren Einfluss auf das sogenannte therapiefreie Intervall. Die Hilfrist sollte unabhängig von
Besiedelungsform und eventuellen Duplizitäten so bemessen werden, dass vom Notrufeingang bis
zum Eintreffen an der Einsatzstelle in 95% der Fälle 10 Minuten nicht überschritten werden.

2. die Investition in eine flächendeckende, schnell verfügbare und exzellent ausgestattete
Rettungsdienstversorgung über Leben und Tod von Menschen in Thüringen entscheidet;

Die BAND e.V. stimmt dieser Feststellung zu. Besonders zeitkritisch sind die sogenannten
Tracerdiagnosen (Schädel-Hirn-Trauma, Schlaganfall, Schwerverletzte/Polytrauma, Akutes
Koronasyndrom, plötzlicher Kreislaufstillstand, Sepsis). Sie erfordern neben einer komplexen
medizinischen Notfallversorgung besonders die zielgerichtete und zeitgerechte Zuweisung der
Patienten in die geeigneten Krankenhäuser. Um Strukturänderungen in der
Rettungsdienstversorgung messbar zu machen, empfehlen wir die Einführung einer unabhängigen
trägerübergreifenden Qualitätssicherungsstelle zur Erfassung der Struktur- / Prozess- und
Ergebnisqualität des Rettungsdienstes Thüringen nach dem Vorbild der SQR Baden-Württemberg
(www.sqrbw.de).

3. diese Investition und dann in erster Linie eine Investition in geeignetes Personal sein
muss und dementsprechend die Arbeitsbedingungen im Rettungsdienst sowohl
familienfreundlich als auch nachhaltig sein müssen, um Mitarbeiter dauerhaft im
Rettungsdienst zu binden und ausreichend Nachwuchs zu erhalten;

Im Bereich des Rettungsdienstfachpersonals hat die Einführung des Notfallsanitäters als neues
Berufsbild zu einer großen Verbesserung der rettungsdienstlichen Versorgungsqualität
beigetragen. Mit diesem neuen Berufsbild wurde die Ausbildungsdauer auf drei Jahre verlängert.
Im ärztlichen Bereich kann die Notarztqualifikation nach zwei Jahren klinischer Weiterbildung also
im Regelfall acht Jahre nach Beginn des Studiums erlangt werden. Die dafür erforderliche
Zusatzbezeichnung Notfallmedizin stellt die einzige Zusatzbezeichnung dar, die vor Erlangen einer
Facharztbezeichnung erworben werden kann und muss die einzige Zugangsqualifikation zur
Notarzttätigkeit sein.
Zur Gewinnung und nachhaltigen Bindung an den Rettungsdienst sowohl das
Rettungsdienstfachpersonal als auch Notärzte betreffend empfehlen wir Maßnahmen, die die
Attraktivität steigern und Weiterbildungs- sowie Aufstiegsmöglichkeiten enthalten. Hierzu zählen
u.a. familienfreundliche Arbeitszeitmodelle, altersgerechte Einsatzmöglichkeiten, moderne
Rettungswachen, -mittel und Ausstattung und angemessene Entlohnung.

4. die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsmittels innerhalb Thüringens zwischen Stadt und
Land variiert und im ländlichen Raum statistisch häufiger überschritten wird;

Da frei zugängliche Daten zu den Hilfsfristen in den einzelnen Regionen Thüringens fehlen, kann
die BAND e.V. diese Feststellung nicht bewerten. Empfehlenswert ist für eine transparente und
objektive Bewertung eine trägerübergreifende Qualitätssicherungsstelle, die die prähospitale
Notfallversorgung ganzheitlich wiederkehrend analysiert und so Veränderungen sichtbar machen
kann (siehe zu 2.).

5. eine am Wohle der Patienten orientierte Versorgung mitunter nicht im nächstgelegenen,
sondern im nächstgeeigneten Krankenhaus erfolgen sollte;

Diese Feststellung unterstützt die BAND e.V. vollumfänglich. Das „Eckpunktepapier 2016 zur
notfallmedizinischen Versorgung der Bevölkerung in der Prähospitalphase und in der Klinik“
(https://link.springer.com/article/10.1007/s10049-016-0187-0) nennt sechs sog. Tracerdiagnosen
(siehe zu 2.), für die eine Prähospitalzeit – als Intervall vom Notrufeingang in der Leitstelle bis zum
Erreichen einer für das jeweilige Erkrankungs- oder Verletzungsbild des Patienten geeignete
Krankenhaus – von maximal 60 Minuten vorgesehen ist. Für das Outcome des Patienten ist also
entscheidend, dass eben nicht das nächstgelegene, sondern das nächste geeignete Krankenhaus
zeitgerecht angesteuert werden kann. Dies sollte bereits bei der Bemessung des
rettungsdienstlichen Bedarfsplans und in der Einsatztaktik (Alarmierung) berücksichtigt werden.
Dabei sollten gerade im ländlichen Raum die nächstgelegenen bodengebundenen, auch
arztbesetzten Rettungsmittel zur Einhaltung der Hilfsfrist also schnellstmöglichen Erstversorgung
disponiert werden aber zum Erreichen der schnellstmöglichen definitiven Versorgung bereits
parallel Luftrettungsmittel alarmiert werden (next best), um gerade lange Transportstrecken zeitlich
zu verkürzen. Luftrettungsmittel sollten dabei in der Planung zu berücksichtigt werden, dass ein
24-Stunden-Betrieb möglich ist und alle Mittel für eine bessere Wetterunabhängigkeit (Point-in-
Space-Anflugmöglichkeiten, Instrumentenflug) erreicht werden kann.
Rettungsdienst und Krankenhaus müssen, gerade im notärztlichen Bereich so entkoppelt werden,
dass eine Konzentration bspw. des Notarztes auf einen Tätigkeitsbereich möglich und keine
parallele Beschäftigung im Krankenhaus erforderlich ist. Dies erlaubt auch eine Dislokation der
Rettungsmittel nach einsatztaktischen Gesichtspunkten. Anstelle wirtschaftlicher Interessen der
am Notarztdienst beteiligten Krankenhäuser darf einzig das Zustandsbild des Patienten die für ein
bestmögliches Outcome erforderliche Zielklinik bestimmen.

6. es möglich sein muss, Patienten boden- oder luftgebunden länger im Rettungsmittel zu
transportieren, wenn dadurch eine geeignetere Behandlungsstelle erreicht werden kann.

Zu diesem Punkt sei auf den vorangegangenen verwiesen. Betonen möchten wir jedoch die
Notwendigkeit, die Luftrettungsmittel in ihrer Vorhaltungsbemessung so zu planen, dass die
Einhaltung der Prähospitalzeiten und zielgerichtete Patientenzuweisung auch in der Nacht möglich
sind. Gleichzeitig muss ein Sekundärtransportkonzept so aufgestellt sein, dass rund um die Uhr
Weiterverlegungen in erforderliche Behandlungszentren möglich sind.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

1. eine qualitativ hochwertige Notfallversorgung mit gleichmäßig kurzen arztfreien
Intervallen und einer krankenhausähnlichen Behandlungsqualität bereits im Rettungsmittel
sicherzustellen;

Mit der Etablierung des Berufsbildes „Notfallsanitäter“ hat sich die Qualität der Notfallversorgung
in der Bundesrepublik und damit auch in Thüringen verbessert. Notfallsanitäter sind in der Lage
bis zum Eintreffen des Notarztes (arztfreies Intervall) oder bis zum Beginn einer weiteren ärztlichen,
auch telemedizinischen, Versorgung, heilkundliche Maßnahmen invasiver Art eigenverantwortlich
durchzuführen. Telemedizinische Unterstützungssysteme sind ein Baustein das arztfreie Intervall
zu verkürzen und können gleichzeitig eine abgestufte ärztliche Behandlung (telemedizinisch oder
physisch) darstellen und so eine zielgerichtete und ressourcenschonende Disposition der
Rettungsmittel möglich machen. Diese Systeme müssen flächendeckend einheitlich mit fachlicher
Betreuung durch die Ärztlichen Leiter Rettungsdienst ausgebaut werden und sollten den Einsatz
des Telemediziners mit Bild-, Ton- und Datenübertragung bereits an der Einsatzstelle und nicht
erst im Rettungsmittel möglich machen.
Um einen ressourcenschonenden und situationsgerechten Einsatz aller Rettungsmittelarten zu
sichern, sollte eine standardisierte, strukturierte Notrufabfrage, am besten sektorenübergreifend
eingeführt werden.

2. zu diesem Zweck die existierenden Rettungsmittel, die Leitstellenstruktur, die Luftrettung
und die jeweiligen Vergabeverfahren in Thüringen einem externen Gutachten zu
unterziehen, wie es im Bundesland Baden-Württemberg mit einem umfangreichen
Gutachten durch das Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement der Universität
München erfolgte;

Die BAND e.V. stimmt dieser Forderung zu. Ein Strukturgutachten muss dabei jedoch alle
rettungsdienstlichen Strukturen in ihrer Gesamtheit betrachten.

3. die Kommunen wie auch den Thüringer Rettungsdienst in die Lage zu versetzen, weder
in Stadt noch Land die gesetzlich festgeschriebene Hilfsfrist zu überschreiten;

Die BAND e.V. stimmt dieser Forderung zu. Der Zugang zu hochwertigen notfallmedizinischen
Leistungen muss allen Bürgern in allen Regionen gleichermaßen offenstehen. Dabei muss die
Vorhaltungsplanung nicht allein die Hilfsfrist, sondern vielmehr die Prähospitalzeit als Ganzes in
den Vordergrund stellen.
4. die Zahl der in Thüringen beschäftigten Rettungsassistenten zu erfassen und die
Übergangszeit zur Nachqualifizierung der Rettungsassistenten zu Notfallsanitätern zu
verlängern, sofern der Verdacht besteht, dass durch eine nicht erfolgte Verlängerung dem
Thüringer Rettungsdienstwesen Fachkräfte in Größenordnungen verlorengehen;

Die BAND e.V. kann zu dieser Forderung nicht konkret Stellung beziehen.

5. dem berechtigten Fortbildungsinteresse und den Fortbildungsnotwendigkeiten des
Rettungsdienstwesens Rechnung zu tragen und entsprechende Schulen unter
Implementierung eines geeigneten Testregimes und Hygienekonzepten auch unter den
Bedingungen steigender Infektionszahlen offen zu halten;

Die BAND e.V. unterstützt diese Forderung. Wir weisen darüber hinaus darauf hin, dass auch die
notärztliche Weiter- und Fortbildung nicht nur qualitativ hochwertig und am besten in
berufsgruppenübergreifenden Trainings ermöglicht und gefördert werden sollte, sondern auch
deren Finanzierung anstelle als Privataufgabe des Arztes als Kosten des Rettungsdienstes
anerkannt erfolgen muss.

6. Initiativen im Bundesrat zu unterstützen oder zu initiieren, die den Rettungsdienst als
eigenen Sektor im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) implementieren;

Die BAND e.V. unterstützt dieses Vorhaben, weist aber darauf hin, dass der Gemeinsame
Bundesausschuss (G-BA) in diesem Fall um Experten aus dem prähospitalen Bereich (ärztlich und
nicht-ärztlich) erweitert werden muss, da diese Expertise in der bisherigen Zusammensetzung
fehlt.

7. im eigenen Wirkungskreis, auf Bundesebene und gegenüber Krankenkassen,
Krankenhäusern, Ärzten und Mitarbeitern des Rettungsdienstes darauf hinzuwirken, dass
Patienten nicht in die nächstgelegenen, sondern in die nächstgeeigneten Krankenhäuser
verlegt werden, selbst wenn sich diese jenseits der thüringischen Landesgrenze befinden;

Die BAND e.V. unterstützt diese Forderung vollumfänglich. Zur Begründung verweisen wir auf die
Ausführungen zu I.5. und I.6.

8. bezüglich der Schwerlasttransporte einheitliche Regelungen zur Erreichbarkeit, zur
ständigen (24/7) Abdeckung und hinsichtlich der mindestens vorzuhaltenden Anzahl zu
schaffen.

Die BAND e.V. unterstützt diese Forderung und empfiehlt, sie auf weitere Spezialrettungsmittel wie
Intensivtransportwagen (ITW) und Baby-ITW auszuweiten, da diese häufig ebenfalls überregional
eingesetzt werden und entsprechend landesweit einheitlich vorgehalten und disponiert werden
sollten.

Wir danken Ihnen nochmals herzlich für die Gelegenheit zu Anhörung und Stellungnahme und
stehen für Rückfragen gerne telefonisch unter der o.g. Telefonnummer zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Florian Reifferscheid
Vorsitzender der BAND e.V.