5. Leinsweiler Gespräche 2000
Am 17./18. 06. 2000 fanden die 5. Leinsweiler Gespräche der agswn statt, die seit dem vorhergehenden Jahr eine gemeinsame Veranstaltung mit der BAND sind. Teilnehmer waren wieder Vertreter der für die Notfallrettung zuständigen Ministerien der Länder, der Kostenträger, der Bundesärztekammer, der Hilfsorganisationen sowie der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte.
Ergebnisse der 5. Leinsweiler Gespräche
Die 5. Leinsweiler Gespräche beschäftigten sich mit den Themenbereichen
- Primat in der Notfallmedizin und
- Zeitdefinitionen im Rettungsdienst
Ebenso wie bei den 4. Leinsweiler Gesprächen werden auch jetzt die Ergebnisse der 5. Gesprächsrunde aus der Veröffentlichung im NOTARZT in Auszügen wiedergegeben (Schlechtriemen, T., Altemeyer, K.H.: Primat in der Notfallmedizin — Zeitdefinitionen im Rettungsdienst. 5. Leinsweiler Gespräche der agswn e.V. am 17. — 18. 6. 2000. NOTARZT 16 (2000) A 61). Dabei sollen aus der … zum Teil kontrovers geführten Diskussion … die nachfolgend beschriebenen Entwicklungsmöglichkeiten in der Notfallmedizin herausgearbeitet werden.
Entwicklung des Berufsbildes „Rettungsassistent“
… Eine Erweiterung der Not- zur Regelkompetenz des Rettungsassistenten ist nur bei entsprechender Ausbildung sinnvoll
… Dies beinhaltet die nachfolgenden Punkte.
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Erweiterung der Rettungsassistentenausbildung auf 3 Jahre
Durch diese Maßnahme würde nicht nur Zeit geschaffen, durch Integration zusätzlicher Ausbildungsmodule die theoretischen Voraussetzungen und praktischen Fähigkeiten zum Ausbau der Eigenkompetenz in oben beschriebenem Umfang zu schaffen, es fände sich auch mehr Zeit zur Abhandlung technischer und taktischer Unterrichtseinheiten, die in der rettungsdienstlichen Praxis zunehmende Bedeutung erhalten… Ein weiterer wichtiger Vorteil einer 3-jährigen Ausbildung wäre die damit erfolgende Integration des Berufsbildes „Rettungsassistent“ in das allgemeine dreijährige Ausbildungskonzept der Fachberufe im Gesundheitswesen. Der soziale Status der Rettungsassistenten würde erhöht, der Wechsel zwischen den einzelnen Fachberufen wäre leichter möglich…
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Aufhebung der Trennung nach RettAssG zwischen den Ausbildungsjahren und Verlegung der staatlichen Prüfung an das Ausbildungsende.
Der häufigere Wechsel zwischen theoretischen Ausbildungseinheiten und Ausbildungsblöcken an Lehrrettungswachen und Kliniken hat den Vorteil, erworbene theoretische Kenntnisse kurzfristig in der Praxis vertiefen zu können. Zudem erfordert eine derartige Ausbildung nach dem „dualen System“ — wie sie in fast allen anderen Ausbildungsberufen die Regel ist — eine enge Kooperation zwischen Schule, Lehrrettungswache und Klinik mit Rückkopplungsmöglichkeiten der Schule auf die praktischen Ausbildungsabschnitte…
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Bundeseinheitliche Ausbildungsordnungen mit hohem Qualitätsanspruch
Ein bundeseinheitliches Ausbildungskonzept nach einheitlichen, hohen Qualtitätsmaßstäben ist aufgrund der Verantwortung, die Rettungsassistenten in ihrem Berufsalltag übernehmen, unabdingbar. Hierzu gehören auch — analog zu den anderen Fachberufen im Gesundheitswesen — adäquate Eingangskriterien für das Berufsbild („Mittlere Reife“ oder Hauptschulabschluss und abgeschlossene Berufsausbildung) sowie ein Abschluss der Ausbildung mit Staatsexamen.
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Aufhebung des ‚Durchstieges‘ nach § 8 RettAssG
Die hohen Qualitätsansprüche an das Berufsbild „Rettungsassistent“ lassen in Zukunft eine Verkürzung der Ausbildung durch Nutzen von „Übergangsregelungen“ nicht zu. Konsequenz hieraus ist, dass eine derartige Ausbildung nur im Ausnahmefall ehrenamtlich und berufsbegleitend absolviert werden kann. Ähnliche Entwicklungen in anderen Fachberufen des Gesundheitswesens — etwa bei Krankenschwestern/-pflegern vor Jahrzehnten — haben zu einer deutlichen Professionalisierung in den entsprechenden Arbeitsbereichen geführt.
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Flächendeckende Einführung der Institution des Ärztlichen Leiters Rettungsdienst
Rettungsdienst ist — zumindest im Bereich der Notfallrettung — eine medizinische Leistung. Die fachliche Aufsicht kann, ähnlich wie bei anderen Fachberufen im Gesundheitswesen, nur durch den Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) erfolgen. Dieser ist absolute Voraussetzung für die oben genannte Erweiterung der Kompetenz von Rettungsassistenten…
P. Hennes (Vorsitzender des Ausschusses ‚Rettungswesen‘) betonte …, dass aus der Sicht des Ausschusses „Rettungswesen“ die dreijährige Ausbildung der Rettungsassistenten zu begrüßen sei — insbesondere um eine horizontale Mobilität innerhalb der Fachberufe im Gesundheitswesen zu erreichen und die Ausbildungszeit dem Verantwortungsbereich des Rettungsassistenten anzupassen. Eine derart veränderte Ausbildungszeit bedeutet aus der Sicht der Länder jedoch eindeutig einen Ausbau der Kompetenzen des Rettungsassistenten (entsprechend seines verbesserten Ausbildungsstandes)…
Für den Ausschuss „Rettungswesen“ ist die Qualifikation der Leitstellenmitarbeiter verbesserungsbedürftig… Der kassenärztliche Bereitschaftsdienst sollte durch integrierte Leitstellen und den Aufbau von Notfallpraxen in ein Gesamtkonzept der präklinischen Notfallversorgung mit eingebunden werden. Aus diesem Grunde befassten sich die Leinsweiler Gespräche in einem zweiten Themenblock mit den zukünftigen Möglichkeiten des Zusammenwirkens von kassenärztlichem Bereitschaftsdienst und Notarztdienst in der präklinischen Notfallversorgung.
Aufgaben des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes in der Notfallversorgung
Rechtliche Grundlagen (K. Jörg, Saarbrücken): Nach § 72 SGB V sind die Vertragsärzte zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung rund um die Uhr verpflichtet. Für den einzelnen Vertragsarzt besteht die Pflicht zur Versorgung der Patienten, mit denen ein Behandlungsvertrag abgeschlossen wurde. Besteht kein Behandlungsvertrag, ist durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) die Versorgung sicherzustellen. Für den vertragsärztlichen Notdienst sind in den einzelnen kassenärztlichen Vereinigungen unterschiedliche rechtliche Regelungen insbesondere mit unterschiedlichen Zuständigkeiten (KV oder Ärztekammer) getroffen worden, weswegen eine bundeseinheitliche Regelung der Zusammenarbeit mit dem Notarzt erschwert wird.
1. Akutfälle während der Sprechstundenzeiten
Die kassenärztliche Versorgung von Akutfällen (akute, nicht lebensbedrohliche Erkrankungen) während der Sprechstundenzeiten ist unproblematisch, wenn sie in den Praxisräumen stattfinden kann. Sie ist dann problematisch, wenn sie außerhalb der Praxis mit Unterbrechung der Sprechstundentätigkeit erfolgen muss. Besonders kritisch sind hier Stoßzeiten in der Patientenversorgung in der Praxis (z.B. Montagmorgen, Mittagszeit), innerhalb derer es sich aus ökonomischen Gründen fast kein niedergelassener Arzt leisten kann, zur Versorgung eines Akutfalles im häuslichen Bereich des Patienten seine Praxis zu verlassen.
So erfolgt die Versorgung von Akutfällen in dieser Zeit in nicht unerheblichem Maße durch den Notarztdienst. Notwendige Folgerung zur Verbesserung dieses Zustandes wäre die Einführung eines kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes auch während der Sprechstundenzeiten. Aus der Diskussionsrunde wurde festgestellt, dass allein der enger werdende Arbeitsmarkt die Anmeldung von Notfallpraxen über Sonderbedarf an vielen Orten begünstigen und so die Notfallversorgung verbessern wird.
2. Akutfälle in der sprechstundenfreien Zeit
In der sprechstundenfreien Zeit wird die Notfallversorgung in der Regel über einen kollegialen Bereitschaftsdienst sichergestellt. Probleme ergeben sich hierbei in folgenden Punkten:
- Gehfähige Patienten müssen die Praxis des jeweils diensthabenden Kassenarztes suchen und weichen des Öfteren auf die Ambulanzen von Krankenhäusern aus, deren Örtlichkeiten ihnen besser bekannt sind. Lösungsmöglichkeit wäre der Aufbau von Notfalldienstzentralen in zentraler Lage oder Notfalldienstpraxen an Krankenhäusern als feste Anlaufstelle für die Patienten…
- Der kassenärztliche Bereitschaftsdienst soll die Versorgung von Akutfällen sicherstellen, der Notarztdienst die Versorgung von Notfällen. Hieraus ergibt sich eine unterschiedliche Reaktionszeit beider Systeme, die von Teilen der Bevölkerung jedoch nicht akzeptiert wird. Dies hat zur Folge, dass dann, wenn der kassenärztliche Bereitschaftsdienst nicht sofort nach Eingang der Krankheitsmeldung zum Patienten kommen kann, dieser oder seine Angehörigen parallel den Notarzt alarmieren. Da die Alarmierung beider Dienst zumeist über unterschiedliche Leitstellen erfolgt, wird die Parallelalarmierung nicht erkannt und es fahren unter Umständen beide Versorgungssysteme parallel an. Dieser Missstand könnte durch flächendeckend arbeitende integrierte Leitstellen behoben werden
- Die Alarmierung des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes erfolgt in der Regel über eine in der regionalen Presse veröffentlichte Notrufnummer. Diese ist regional unterschiedlich und nicht ortsansässigen Patienten in der Regel nicht bekannt. In Stoßzeiten ist diese Nummer unter Umständen besetzt. In einigen Bereichen wechselt die Nummer entsprechend dem Wechsel der jeweils diensthabenden Praxis – unter Umständen bei Diensttausch nach Redaktionsschluss der lokalen Medien noch kurzfristig. Um diese Probleme zu reduzieren, ist die Einführung einer zentralen Telefonnummer (möglichst überregional einheitlich) mit Rufweiterschaltung an den jeweiligen Diensthabenden sinnvoll, noch besser ist die Alarmierung des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes über eine integrierte Leitstelle
3. Mit Wahl der Notrufnummer entscheidet der Patient über das Versorgungssystem
… Eine einheitliche Notrufnummer, die in einer integrierten Leitstelle aufläuft, nimmt die Dispositionsentscheidung dem Patienten ab und wird in den meisten Fällen – entsprechend dem Kenntnisstand über die Notfallsituation zum Zeitpunkt der Alarmierung – den adäquaten Notfalldienst zur Versorgung alarmieren.
4. Trennschärfe für die Disposition beider Notfalldienste erhöhen
Mit Einführung einer integrierten Leitstelle sehen viele Vertragsärzte ihre freiberufliche Tätigkeit reglementiert. Eine ärztliche Leitung der integrierten Leitstelle durch den ÄLRD wird vehement eingefordert. In der Diskussion wird zu dieser Problematik angeführt, dass durch einen detaillierten Einsatzkatalog und eine umfangreiche Ausbildung der Leitstellendisponenten unter Verantwortung des ÄLRD die Trennschärfe für die Disposition beider Notfalldienste erhöht werden könnte.
Die dem kassenärztlichen Bereitschaftsdienst zugeordneten Fälle könnten telefonisch an den diensthabenden Kassenarzt weitergegeben werden, der durch Rückruf beim Patienten über das weitere Prozedere (telefonische Beratung, Hausbesuch, Alarmierung des Notarztsystems) entscheidet. Der Leitstelle würde in einem solchen System Verantwortung abgenommen, die Patientenversorgung durch unmittelbaren telefonischen Kontakt zum diensthabenden Kassenarzt optimiert und die Verantwortung des freiberuflichen Arztes für seine Patienten betont…
Ganz entscheidend für die Umsetzung der genannten Ideen ist zum einen, dass die beteiligten Institutionen – insbesondere die Kassenärztlichen Vereinigungen – bereit sind, über die Neuverteilung von Kompetenzen zu sprechen und dass die Kostenträger einem ausreichendem gemeinsamen Budget für die Notfallversorgung zustimmen könnten. Letzteres wäre zur Umsetzung vieler der genannten Überlegungen wichtig, da der Kassenarzt in seinem für Hausbesuche zur Verfügung stehenden Budget gedeckelt ist, der Notarztdienst jedoch nicht.
Zusammenarbeit zwischen kassenärztlichem Bereitschaftsdienst und Notarztdienst in der präklinischen Notfallversorgung. Forderungen aus der Diskussion:
- Einführung einer bundesweit einheitlichen Notrufnummer für alle medizinischen Notfälle.
- Aufbau integrierter Leitstellen (durch den ÄLRettD überwacht).
- Aufbau von an Krankenhäuser (oder Rettungswachen) angebundenen Notfalldienstpraxen, die rund um die Uhr zur Verfügung stehen und die Ressourcen des Krankenhauses nutzen
Zeitdefinitionen für die Notfallversorgung
Die Aussagen der 5. Leinsweiler Gespräche zu diesem Themenbereich, insbesondere der ‚Hilfsfrist‘ und dem ‚Sicherheitsniveau‘ sind in der im Kapitel III — 3.1 dieses BAND-Ordners veröffentlichten Empfehlung der BAND bereits umgesetzt. Daher wird auf eine Wiedergabe der Ergebnisse der 5. Leinweiler Gespräche zu diesem Themenbereich jetzt hier verzichtet.
Qualitätsmanagement
Für das Qualitätsmanagement bleibt festzuhalten, dass die Hilfsfrist nach oben genannter Definition ein guter Parameter zur Beurteilung der Strukturqualität im Rettungsdienst ist. Zur Bewertung der Prozess- und insbesondere der Ergebnisqualität (Effektivität und Effizienz) der notfallmedizinischen Patientenversorgung muss jedoch das therapiefreie Intervall Berücksichtigung finden.