Pressemitteilung der BAND e.V.
Notärzte fordern Priorisierung der Beschäftigten im Rettungsdienst bei einer COVID-19-Impfung
Dr. Peter Gretenkort und Dr. Florian Reifferscheid
für den Vorstand der BAND e.V
Berlin, 12.10.2020
Die Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands BAND e.V. verweist auf die Notwendigkeit, Notärzte und Rettungsdienstfachpersonal bei der Versorgung mit einem zukünftigen COVID-19-Impfstoff neben anderen Beschäftigten im Gesundheitswesen bevorzugt zu berücksichtigen.
Wie alle Beschäftigten im Gesundheitswesen können gerade Notärzte und Rettungsdienstfachpersonal ihren Abstand zu erkrankten Personen nicht selbst bestimmen und sind daher, besonders in unklaren Lagen, einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. Zugleich ist ihre Arbeit für die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung unverzichtbar und ein Ausfall ihrer Arbeitskraft nicht zu ersetzen.
Die Forderung nach einer bevorzugten Impfung dieser Berufsgruppen wird gestützt durch ethische Leitgedanken hochrangiger wissenschaftlicher und politischer Gremien. Uns erscheint dieser Hinweis wichtig, denn eine differenzierte Planung für den Umgang mit den demnächst erwarteten Impfstoffen ist bisher in den Pandemieplänen der Länder kaum zu erkennen. Wir erwarten, dass die logistischen Vorbereitungen für die flächendeckende Impfung von Berufsgruppen, die in der Pandemie relevante Schlüsselfunktionen ausfüllen, auf Länder- und kommunaler Ebene zielgerichtet vorangetrieben werden. Zugleich fordern wir transparente Vorausplanungen für Impfungen zum Schutz besonders gefährdeter Personengruppen, solange nicht eine ausreichende Menge an Impfstoff für die Versorgung der gesamten Bevölkerung verfügbar ist.
Hintergrundinformationen
Die Hoffnung zur vorzeitigen Beendigung der COVID-19-Pandemie ruht auf der Entwicklung eines oder mehrerer Impfstoffe. Es gilt als sicher, dass in absehbarer Zeit Impfstoffe zur Verfügung stehen werden. Sicher ist aber in jedem Fall, dass die Zahl der verfügbaren Impfdosen in der ersten Phase nicht ausreichen wird, um die gesamte Bevölkerung zu versorgen. Die Impfstrategie muss daher in kleinen Schritten umgesetzt werden und wird in den ersten Monaten nur ganz bestimmte Personengruppen berücksichtigen können.
Die Bundesregierung hat bereits im Mai 2020 die Ständige Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut (RKI) damit beauftragt, ein „risikoorientiertes Priorisierungskonzept“ für eine mögliche Impfoption zu entwickeln, da nicht damit zu rechnen ist, dass unmittelbar ausreichend Impfstoff für die Gesamtbevölkerung zur Verfügung steht. Die STIKO ist gemäß Infektionsschutzgesetz (IfsG) dafür zuständig, Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen und zur Durchführung anderer Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe übertragbarer Krankheiten zu erarbeiten. Jedoch ist die Definition der zu priorisierenden Personengruppen, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder der staatlichen Infrastruktur erforderlich sind, dem Nationalen Pandemieplan zufolge nicht Aufgabe der STIKO.
Ethische Aspekte
Ebenfalls bereits im Mai erarbeitete das „Kompetenznetz Public Health zu COVID-19“, ein Ad hoc-Zusammenschluss von über 25 wissenschaftlichen Fachgesellschaften aus dem Bereich Public Health, ethische Perspektiven für ein COVID-19-Impfprogramm.
In ihrer aktuellen Stellungnahme zur künftigen Impfung gegen COVID-19 vom 17. August 2020 bezieht sich die STIKO ausdrücklich auf die ethischen Leitgedanken des Kompetenznetzes. Der STIKO-Empfehlung zufolge ist es das allgemeine Ziel einer Priorisierung, durch eine gezielte Nutzung bei möglicherweise eingeschränkter Verfügbarkeit der Impfstoffe zur bestmöglichen Vermeidung von schweren Erkrankungen und Todesfällen beizutragen. Weitere Aspekte einer COVID-19-Impfpriorisierung sind der Schutz der Funktionsfähigkeit des medizinischen/pflegerischen Versorgungsystems. Außerdem gilt es, den Schutzbedarf von Personen, die aufgrund ihrer Tätigkeit besonders exponiert sind und mit vielen Menschen in Kontakt kommen, zu berücksichtigen.
Das „Kompetenznetz“ nimmt die Reihung der Leitgedanken anders vor. In der publizierten „Vaccination Policy“ geht es an erster Stelle darum, Beschäftigte im Gesundheitswesen sowie Beschäftigte in gesellschaftlichen Schlüsselfunktionen (Polizei, öffentliche Verwaltung, Feuerwehr, öffentlicher Personenverkehr, öffentliche Dienste und Supermarkt-Personal) zu priorisieren. Es werden drei rechtfertigende Gründe dafür genannt:
- Schutz dieser Berufsgruppen, weil sie einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sind;
- Schutz anderer Personen vor einer Infektionsübertragung durch diese Berufsgruppen;
- Aufrechterhaltung eines funktionierenden gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Das „Kompetenznetz“ gibt weitere Aspekte zu bedenken:
- Beschäftigte in Schlüsselfunktionen werden durch eine prioritäre Impfung in die Lage versetzt, effektiv zur Gesundheit der Bevölkerung insgesamt beizutragen;
- Beschäftigte mit spezialisierten Fachkenntnissen, die nicht ersetzt werden können, sollen innerhalb ihrer Gruppe höher priorisiert werden;
- auch geographische Besonderheiten müssen bei der Impfpriorisierung berücksichtigt werden: Beschäftigte in Regionen mit hoher COVID-19-Inzidenz und -Prävalenz, mit häufigen Kontakten im Arbeitsalltag insbesondere mit Hochrisikogruppen und mit hoher beruflich bedingter Mobilität sollten prioritär geimpft werden.
- Wenn Beschäftigte im Gesundheitswesen Kontakt zu vulnerablen Patientengruppen haben und nicht bereit sind, sich impfen zu lassen, sollten sie nicht weiterarbeiten dürfen.
Neben Personen in Schlüsselfunktionen sollen nach Auffassung des „Kompetenznetzes“ auch durch COVID-19 besonders gefährdete Personen und Hochrisikogruppen in der Bevölkerung – darunter alte und chronisch kranke Menschen, aber auch sozioökonomisch vulnerable Gruppen – bei der Impfstrategie bevorzugt berücksichtigt werden.
Politische und administrative Aspekte
Der Nationale Pandemieplan nennt als Ziel der Vorbereitungen von Bund und Ländern eine möglichst rasche Sicherstellung der Impfstoffversorgung für die Teile der Bevölkerung, denen die Impfung empfohlen wird. Man geht von ca. 16 Millionen Personen mit erhöhtem gesundheitlichem Risiko aus und weiteren sieben Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen und in Berufen, die für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zuständig sind. Die Bundesländer sind in der Pflicht, das Konzept für die Durchimpfung der Bevölkerung zu erstellen und umzusetzen. Eine prioritäre Impfung bestimmter Berufsgruppen soll über die Belieferung von Betriebsärzten mit Impfstoffen gesteuert werden.
Die Influenza-Pandemien der letzten beiden Jahrzehnte waren räumlich und zeitlich begrenzt und machten ein konkretes Nachdenken über die Priorisierung von bestimmten Zielgruppen für eine Impfung nicht notwendig. So ist zu erklären, dass in vielen Pandemieplänen der Bundesländer diese Frage gar nicht oder nur in allgemeiner Form angesprochen wird. Falls Aussagen zur Priorisierung getroffen werden, sind ausnahmslos die Beschäftigten im Gesundheitswesen vorrangig aufgeführt. Darüber hinaus gibt es in den Pandemieplänen nur wenige detaillierte Festlegungen. Eine der ausführlichsten und aktuellsten Regelungen findet sich im Pandemieplan für Baden-Württemberg, wo bedacht wird, dass die Durchführung der Impfung für die verschiedenen Berufsgruppen durch unterschiedliche Instanzen (betriebsmedizinische Dienste, Betriebsärzte, Gesundheitsämter) und auf unterschiedlichen logistischen Wegen erfolgt. Hier nimmt der Rettungsdienst mit seinen Beschäftigten eine Sonderstellung ein, die aufgrund unterschiedlicher Strukturen des Rettungsdienstes von Bundesland zu Bundesland verschieden ausfällt. Letztlich muss die zugehörige Impfstrategie und Impflogistik bis auf jede einzelne Kommune heruntergebrochen werden, damit die Impfstrategie effektiv umgesetzt werden kann.
Notärzte und Rettungsdienstfachpersonal haben in der Frühphase der Pandemie uneingeschränkte Einsatzbereitschaft auch unter Inkaufnahme eines erhöhten Eigenrisikos bewiesen. Sobald eine Impfprophylaxe gegen COVID-19 zur Verfügung steht, müssen diese Mitarbeiter des Rettungsdienstes mit direktem Patientenkontakt prioritär in der Impfstrategie der Bundesländer berücksichtigt werden – genauso wie die Mitarbeiter, die in den Krankenhäusern und Arztpraxen die Akutversorgung von COVID-19-Patienten im persönlichen Kontakt bewältigen. Ihr Impfschutz schützt zugleich die Gesundheit aller anderen Personengruppen und sichert die Leistungsfähigkeit einer funktionierenden rettungsdienstlichen Notfallversorgung.