9. Leinsweiler Gespräche der agswn e.V. in Zusammenarbeit mit INM, IfN und BAND, 02.- 03. Juli 2004
Die 9. berufspolitische Tagung der Arbeitsgemeinschaft Südwestdeutscher Notärzte (agswn e.V.) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement (INM) des Klinikums der Universität München, dem Institut für Notfallmedizin (IfN), Hamburg, der Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND e.V.) und dem Länder-Ausschuss Rettungswesen beschäftigte sich in drei Themenblöcken mit der Frage, warum gute notfallmedizinische Konzepte schlecht umgesetzt werden und was man daran ändern kann.
T. Schlechtriemen1, B. Dirks2, Chr.-K. Lackner3, Hp Moecke4, M. Ruppert3, D. Stratmann5, KH Altemeyer1
1 Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Klinikum Saarbrücken
2 Sektion Notfallmedizin, Klinik für Anästhesiologie, Universität Ulm
3 Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement (INM), Klinikum der Universität München
4 Klinikum Nord —Ochsenzoll, LBK Hamburg
5 Institut für Anästhesiologie, Klinikum Minden
Defizite in der Notfallversorgung — gute Konzepte schlecht umgesetzt ?
9. Leinsweiler Gespräche der agswn e.V. in Zusammenarbeit mit INM, IfN und BAND, 02.- 03. Juli 2004
In den vergangenen Jahren sind von einer Vielzahl von Fachgremien zumeist im Konsens differenzierte Konzepte erarbeitet worden um zum Teil seit Jahren bekannte Defizite in der Notfallversorgung zu beseitigen. Viele dieser Konzepte wurden jedoch nur unvollständig oder nicht umgesetzt.
Die 9. berufspolitische Tagung der Arbeitsgemeinschaft Südwestdeutscher Notärzte (agswn e.V.) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement (INM) des Klinikums der Universität München, dem Institut für Notfallmedizin (IfN), Hamburg, der Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND e.V.) und dem Länder-Ausschuss Rettungswesen beschäftigte sich daher in drei Themenblöcken mit der Frage, warum gute notfallmedizinische Konzepte schlecht umgesetzt werden und was man daran ändern kann.
Hierbei wurden mit jeweils einem kurzen Eingangsreferat und anschließender ausgiebiger Diskussion die Organisationsebenen Bund, Länder und Ärzteschaft getrennt betrachtet.
Teilnehmer der Veranstaltung waren Abgeordnete des Deutschen Bundestages und der Landesparlamente als Vertreter der Politik, Vertreter der für den Rettungsdienst zuständigen Ministerien der Länder, der Hilfsorganisationen, der Kostenträger, der wissenschaftlichen Fachgesellschaften sowie der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte (Tabelle 1).
Organisationsebene Bund
Zu Beginn der Gesprächsrunde unter Vorsitz von W. Dick(Mainz) und B. Dirks (Ulm) stellte Chr. K. Lackner (München) in einem Kurzreferat die vorhandenen Konzepte auf der Organisationsebene Bund vor und setzte sich kritisch mit den Ursachen einer fehlenden Umsetzung auseinander. Insbesondere wurden die Defizite bei der Integration des Rettungsdienstes in das Sozialgesetzbuch V, die Auswirkungen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes, der gDRGs und der zu erwartenden Veränderung der Arbeitszeitregelungen sowie die Novellierung des Rettungsassistentengesetzes dargestellt.
SozialGesetzBuch V
Die Aufnahme des Rettungsdienstes als eigenständigen Anspruch auf Krankenbehandlung in § 27 SGB V und eine verbindliche Regelung zur Koordination des Rettungsdienstes und des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes in § 75 SGB V sind Forderung, die im Konsens aller beteiligten Experten vielfach vorgetragen und publiziert wurden (1, 2, 3, 9) —eine gesetzliche Umsetzung erfolgte bisher jedoch nicht. F.-W. Ahnefeld subsummiert dieses Defizit mit der Einschätzung „Dieser Befund ist bezeichnend für den geringen Stellenwert, den offenbar die präklinische Notfallversorgung in der Deutschen Gesundheitspolitik einnimmt“(2).
In der Diskussion wurde festgestellt, dass die Möglichkeiten zur Thematisierung dieses Missstandes in der notfallmedizinischen Fachpresse ausgeschöpft sind. Als eine zielführende Möglichkeit wurde eine intensive Öffentlichkeitsarbeit diskutiert, die aber sehr zeit- und finanzaufwendig ist und professionell betrieben werden muss. Eine konzertierte Aktion aller in der präklinischen Notfallmedizin engagierter Gremien und Gruppen mit Bündelung der organisatorischen wie finanziellen Resourcen könnte hier hilfreich sein, —etwa auch durch Gründung einer „Stiftung Rettungsdienst“.
Gesundheitsmodernisierungsgesetz
Die Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten (11) hat im 1. Quartal 2004 zu einem Rückgang von 10,5% bei den Aufwendungen der gesetzlichen Krankenkassen für „Fahrtkosten“ geführt (Quelle: GKV Statistik BMGS, Vordruck KV 45). Inwieweit sich diese zumeist den qualifizierten Krankentransport betreffende Entwicklung auf die Notfallrettung auswirkt, bleibt abzuwarten. In der Diskussion wurde insbesondere auf die Probleme von Rettungsdienstbereichen hingewiesen, in denen Notfallrettung und Krankentransport auf Grund der Landesgesetze eine organisatorische Einheit bilden und damit eine Quersubventionierungen beider Bereiche möglich ist.
Arbeitszeitgesetz
Die Auswirkungen des Arbeitszeitgesetzes und der hierzu erfolgten höchstrichterlichen Entscheidungen auf europäischer Ebene betreffen nicht nur die Klinik (12), sondern mittelbar und unmittelbar auch den Rettungsdienst. Unmittelbar, weil auch die Mitarbeiter im Rettungsdienst stark in Bereitschaftsdienste eingebunden sind, mittelbar, weil —worauf die BAND in einem entsprechenden Positionspapier (8) hinweist- Kliniken einerseits die verbleibende Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter vollständig innerhalb der Klinik verwenden wollen und andererseits dann bisher erteilte Nebentätigkeitsgenehmigungen zurückziehen müssen, die vielerorts eine nebenberufliche Notarzttätigkeit erst ermöglichen. So fordert der 107. Deutsche Ärztetag 2004 explizit die Krankenhausträger auf, „im gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen Nebentätigkeiten zuzulassen, damit eine adäquate Besetzung des Notarztdienstes ermöglicht wird“ (10). Da in vielen Bereichen die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes noch nicht stringent umgesetzt sind bzw. Differenzen in der Auslegung der Regelungen bestehen (12, 16) und auch unklar ist, inwieweit eine Revision der entsprechenden Richtlinie 93/104/EG erfolgt, ist —ähnlich wie beim Gesundheitsmodernisierungsgesetz- die weitere Entwicklung schwer vorhersehbar.
G-DRGs (German Diagnosis Related Groups)
Zu den Auswirkungen der G-DRGs auf die Notfallrettung haben sich aktuell sowohl die BAND (7) als auch der 107. Deutsche Ärztetag (10) geäußert und festgestellt, dass die neue Vergütungsform eine zunehmende Spezialisierung der stationären Versorgung unter Hintanstellung der Notfallversorgung fördert und insbesondere im Rahmen der Privatisierung von kommunalen Krankenhäusern wirtschaftlich wenig lukrative weil vorhalteintensive Notfallversorgungskapazitäten abgebaut werden. Damit fallen Kliniken sowohl als Notarztstandort wie als Zielklinik aus und die Versorgung zeitkritischer Notfälle wird sowohl durch verlängerte Anfahrt des Notarztes als auch durch längere Transportzeiten zur adäquaten Zielklinik verschlechtert. Zudem werden Kliniken die Aufnahme vorhersehbar kostenintensiver Notfallpatienten unter Verweis auf (entferntere) Zentren zu vermeiden suchen oder derartige Patienten zügig per Sekundärtransport verlegen.
Vorschläge zur situationsgerechten Berücksichtigung der Akut- und Notfallmedizin im Rahmen der gDRG-Einführung wären die Einrichtung von Notaufnahmen zur klinischen Basisversorgung sowie die Zuführung von Patienten zu Kompetenzzentren (Bildung klinischer Netzwerke). Auch könnte durch Einsatz niedergelassener Ärzte als „ärztliche First responder“, Etablierung flexibler Beschäftigungsmodelle für Notärzte je nach regionaler Gegebenheit und zeitliche Ausdehnung der Luftrettung der Notarztmangel gelindert werden, der aufgrund der Einführung der gDRGs gerade in strukturschwachen Regionen zu erwarten ist. Insgesamt wird die Umstellung der klinischen Entgeldsysteme im Rahmen der gDRGs zu einer Neuregelung der Finanzierungsstrukturen des Notarztdienstes unter Berücksichtigung höherer Kosten führen —konkret werden sich die oben benannten Auswirkungen der gDRGs auf den Rettungsdienst nicht kostenneutral umsetzen lassen.
Rettungsassistentengesetz
Eine wichtige Option zur Verbesserung der präklinischen Notfallversorgung ist —gerade auch unter den genannten Problemen bei der Einführung der gDRGs- die verbesserte Qualifizierung des Rettungsdienstpersonals durch Einführung einer dreijährigen Rettungsassistentenausbildung im Rahmen der geplanten Novellierung des Rettungsassistentengesetzes. Hierzu haben die Teilnehmer der Leinsweiler Gespräche 2002 (14) bereits festgestellt, dass „ein evtl. nur passagerer Mangel an Medizinern kein Alibi für eine Qualitätsabsenkung in der Notfallversorgung sein darf“. Die BAND (8) äußert sich klar: „Der Notarztdienst kann und darf nicht zur Disposition stehen.“
In der Diskussion wurde deutlich, dass ein klares Profil für den Notarztdienst hinsichtlich Anforderungsprofil und Aufgabenspektrum Voraussetzung ist für die Definition der Anforderungen an den Rettungsassistenten und in der Folge auch an die Rettungsassistentenausbildung. Hierbei wäre insbesondere zu klären, inwieweit der kassenärztliche Bereitschaftsdienst und der Notarztdienst im Sinne einer integrierten Versorgung zusammengeführt werden können (siehe unten), wie also ein Gesamtkonzept der präklinischen ärztlichen Versorgung aussehen könnte um daraus abgeleitet den Aufgabenbereich des medizinischen Assistenzpersonals zu bestimmen.
Einig war sich die Diskussionsrunde in der Forderung, dass eine Neuregelung der Rettungsassistentenausbildung eine verkürzte Ausbildung im Sinne von Übergangsregelungen ausschließen muss.
Handlungsbedarf auf der Organisationsebene Bund
- Aufnahme des Rettungsdienstes als eigenständigen Anspruch auf Krankenbehandlung in § 27 SGB V.
- Verbindliche Regelungen in § 75 SGB V zur Koordination zwischen Rettungsdienst und vertragsärztlichem Bereitschaftsdienst mit klarer Definition des jeweiligen Aufgabenfeldes einschließlich einer überregionalen Steuerung und Planung der außerklinischen Akutversorgung über integrierte Leitstellen.
- Novellierung des Rettungsassistentengesetzes mit Erweiterung der Ausbildung auf 3 Jahre.
- Verbindliche Regelungen zu den Auswirkungen der GDRGs auf die notfallmedizinische Versorgung der Bevölkerung mit Schaffung sektorübergreifender notfallmedizinischer Kompetenzzentren.
- Bundesweite Umsetzung der einheitlichen Notrufnummer 112.
Organisationsebene Länder
Für den Bereich der Länder fasste Th. Schlechtriemen(Saarbrücken) unter Vorsitz von FW. Ahnefeld(Ulm) und D. Stratmann (Minden) Konzepte und Defizite zusammen. Er ging dabei insbesondere auf die Probleme mit der föderalen Vielfalt der Landesrettungsdiensgesetze, den Schwierigkeiten bei der Einführung integrierter Leitstellen und in der Optimierung der Laienhilfe / First responder sowie den Defiziten bei der Umsetzung aktualisierter Konzepte im erweiterten Rettungsdienst und Katastrophenschutz ein.
Landesrettungsdienstgesetze
Notfallrettung unterliegt landesrechtlichen Bestimmungen. Hieraus resultiert die föderale Vielfalt von 16 Landesrettungsdienstgesetzen mit zum Teil recht unterschiedlichen Regelungen. So stellte der Länderausschuss Rettungswesen, in dem die jeweiligen für den Rettungsdienst verantwortlichen Mitarbeiter der zuständigen Landesministerien vertreten sind, in seinem Abschlußbericht der Arbeitsgruppe Hilfsfrist (4) beispielsweise fest, dass die für den Rettungsdienst zentrale Planungsgröße „Hilfsfrist“ sowohl in ihrer Länge als auch bezüglich des Zeitpunktes ihres Beginns in den 16 Bundesländern höchst unterschiedlich festgelegt ist. Gerade der Ausschuss Rettungswesen hat sich in diversen Arbeitsgruppen —genannt seien hier die AGs Luftrettung, Sekundärtransporte, Massenanfall von Verletzten, Hilfsfrist und Strukturfragen (4)- umfangreich um eine Vereinheitlichung der Definitionen und Regelungen im Rettungsdienst bemüht. Trotzdem scheitert die Umsetzung einheitlicher Regelungen nicht selten in der Praxis. Sei es, weil „Landeseigenheiten“ in den Vordergrund gestellt werden, obwohl ein länderübergreifender Konsens möglich gewesen wäre. Sei es, weil finanzielle Beschränkungen die Umsetzung bestimmter Regelungen z.B. zur Hilfsfrist für einige Länder erheblich erschweren.
Einheitliche Einsatzkataloge für die einzelnen Rettungsmittel, die die Dispositionsentscheidungen der Rettungsleitstelle bundeseinheitlich transparent werden lassen oder einheitliche Hygienestandards und Vorgaben für das Medizinische Qualitätsmanagement müssten aber auch bei beschränkten finanziellen Mitteln mit dem Willen zum Konsens umsetzbar sein. Gerade länderübergreifend tätige Rettungsdienstunternehmen, wie sie etwa in der Luftrettung zu finden sind, sind auf länderübergreifende Regelungen in diesen Bereichen angewiesen, da z.B. von Land zu Land unterschiedliche Anforderungen an Inhalt und Umfang eines Medizinischen Qualitätsmanagements nur mit großem Aufwand ohne erkennbaren Vorteil in der Sache umsetzbar sind.
Ein weiteres Feld, in dem eine länderübergreifende Zusammenarbeit dringend erforderlich ist, stellt die Disposition von Sekundärtransporten dar. Einige Länder haben zumindest landesweit die Einsatzdisposition von Sekundärtransporten zusammengefasst (z.B. KOST Niedersachsen). Eine länderübergreifende Zusammenarbeit ist in diesem Bereich zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf Sekundärtransporte mit RTH/ITH erprobt worden —die Ergebnisse sind noch nicht veröffentlicht. An anderer Stelle —zwischen Rheinland-Pfalz und Hessen- wurde eine länderübergreifende Einsatzdisposition vorerst eingestellt. Es ist zu fragen, warum zumindest für Luftrettungsmittel mit ihrem großen Einsatzradius nicht eine bundesweite oder zumindest länderübergreifende Einsatzdisposition von Sekundärtransporten durch entsprechende Leitstellen möglich ist.
F.-W. Ahnefeld wies in der Diskussion zu diesem Themenbereich darauf hin, dass nicht die Einzelregelungen, sondern die Eckpunkte der Landesrettungsdienstgesetze übereinstimmen müssen, damit insbesondere ein länderübergreifendes Qualitätsmanagement im Rettungsdienst möglich wird. R. Müller erwiderte, dass gerade die Arbeit des Länderausschuss Rettungswesen in den letzten Jahren zu einer Harmonisierung der Landesrettungsdienstgesetze im Sinne der eingeforderten Eckpunkte beigetragen habe und man sich aktuell mit der Erarbeitung eines einheitlichen Indikationskataloges für die Notfallrettung inklusive spezifischer Indikationen für Luftrettungsmittel beschäftige. Dieser Katalog —darauf legte D. Stratmann wert- sollte sich auf bereits ausgearbeitete Konzepte wie den Notarztindikationskatalog der BAND (6) und Bundesärztekammer (5) beziehen.
Integrierte Leitstelle
Aufgabe der Integrierten Leitstelle ist die Disposition aller nichtpolizeilichen Notfälle (Brandschutz, Katastrophenschutz, Notfallrettung und Krankentransport möglichst unter Einbindung des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes) unter der bundeseinheitlichen Notrufnummer 112. Eine Integrierte Leitstelle sollte als Führungsinstrument in der öffentlichen Gefahrenabwehr einen von den Leistungserbringern unabhängigen Träger haben und landkreisübergreifend einen großen Leitstellenbezirk versorgen. Die Leitstellendisponenten benötigen eine hohe Qualifikation mit differenzierter Aus- und Fortbildung. Diese Forderungen sind vielfach publiziert und diskutiert (14, 15). Die Umsetzung der bundeseinheitlichen Notrufnummer 112 beinhaltet die Zusammenführung von Leitstellenstrukturen des Rettungsdienstes, des Katastrophenschutzes und der Feuerwehren, was in den Bundesländern, in denen diese Aufgaben bisher getrennt wahrgenommen wurden einen erheblichen Abstimmungsbedarf bei nicht zu vernachlässigenden Eigeninteressen besonders der Berufsfeuerwehren nach sich zieht. Auch die kassenärztlichen Vereinigungen machen Vorbehalte gegen eine Integration des Kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes in die Integrierte Leitstelle geltend. Hier sind wegen der Eigenständigkeit der kassenärztlichen Vereinigungen komplizierte Abklärungsprozesse notwendig. Erfahrungen bei der Zusammenlegung kleinerer Leitstellen zeigen erhebliche Widerstände bei den Landkreisen, eigene Strukturen zugunsten größerer funktionellen Einheiten aufzugeben. Ebenso schwierig wird es, die organisatorische Unabhängigkeit und Neutralität der Leitstelle gegen das Selbstverständnis einiger Hilfsorganisationen durchzusetzen.
In der Diskussion bestätigten die Vertreter der Länder, dass in fast allen Ländern die Absicht besteht, die Zahl der Leitstellen zu reduzieren. Rheinland-Pfalz zum Beispiel hat die Zahl seiner Rettungsleitstellen von 18 auf 8 verringert und damit bezüglich Effizienz, Kostenersparnis und Dispositionsqualität durchweg positive Erfahrungen gemacht. Wegen der kommunalen Zuständigkeiten kann eine Zusammenlegung von Leitstellen oft nur freiwillig und damit im Konsens mit den Betroffenen erfolgen. Eine gesetzliche Vorgabe mit Landesgesetz ist zwar möglich, aber mit hohen Widerständen verbunden, sodass die meisten Länder auf eine freiwillige, ggfs. auch durch die hohen Investitionskosten in die Leitstellenausrüstung beflügelte Lösung setzen, die jedoch nur mittelfristig umsetzbar ist.
Laienhilfe — First responder
Gerade die letztjährigen Leinsweiler Gespräche (15) haben darauf verwiesen, dass es Aufgabe der Notfallmedizin ist, nach Möglichkeiten zur Verkürzung des therapiefreien Intervalls zu suchen und dabei vor allem auch eine suffiziente Laienhilfe und ein strukturiertes First responder Konzept zu unterstützen.
Die Erste Hilfe Ausbildung muss zielgruppenspezifisch, flächendeckend, möglichst verpflichtend und institutionell angebunden erfolgen. Als Beispiel sei hier die Einführung eines verpflichtenden Erste-Hilfe Unterrichtes in den saarländischen Grundschulen (16) benannt. Durch eine derartige Ausbildung —fortgeführt durch Ausbildungsmodule in den weiterführenden Schulen, ergänzt durch die Erste-Hilfe Ausbildung zur Führerscheinprüfung und gegebenenfalls im weiteren Leben mehrfach wiederholt (Stichwort: „Auto zum TÜV, Fahrer zur Ersten Hilfe Ausbildung“ — könnte das heute oftmals fehlende Problembewusstsein in der Bevölkerung, im Notfall auf eigene Kenntnisse bauen zu können, verstärkt werden.
Defizite in der Laienausbildung betreffen vor allem die Ausbildungskonzepte. Hier ist es nicht von Vorteil, dass Rettungsdienst und Breitenausbildung innerhalb der Hilfsorganisationen in der Regel organisatorisch strikt getrennt sind und damit Ausbildungsschwerpunkte und Handlungsabläufe nicht optimal aufeinander abgestimmt werden. Auch wenn auf der Bundesebene eine derartige Abstimmung vielfach erfolgt, so setzt sie sich nicht in die einzelnen Gliederungen der Hilfsorganisationen und des Rettungsdienstes fort. Ähnliches gilt für die zielgruppenorientierten Ausbildungskonzepte, die von allen Hilfsorganisationen in vorbildlicher Weise in den letzten Jahren erarbeitet wurden, die sich jedoch häufig nicht bis hin zu den einzelnen Ausbildern fortgesetzt haben.
Gerade in der Diskussion um den Einsatz von automatisierten externen Defibrillation (AED) durch Laien (PAD-Konzept) wird deutlich, wie ein sinnvolles medizinisches Konzept —die möglichst frühzeitige Defibrillation bei Kammerflimmern- ad absurdum geführt werden kann, wenn sie sich auf eine reine Gerätegestellung beschränkt (Positionierung von AED wie Feuerlöscher) und die Einbindung in die Basismaßnahmen der kardiopulmonalen Reanimation in den Hintergrund tritt. Hier sollte durchdachten Konzepten der Vorrang vor öffentlichkeitswirksamen Luftblasen gegeben werden. In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass die noch nicht veröffentlichte PAD-Machbarkeitsstudie in Bayern nur für wenige Orte mit hohem Publikumsverkehr (z.B. Bahnhöfe, Flughäfen) den Nutzen einer AED-Gestellung im Sinne eines „fire extinguisher approach“ beschreibt. Andere Diskussionsteilnehmer stellten klar, dass AED Geräte zumindest den ausgebildeten Mitarbeitern auf den KTWs zur Verfügung stehen sollten. Da die Mehrzahl der Herz-Kreislauf-Stillstände jedoch im häuslichen Umfeld stattfinden, müsse auf die Schulung von Angehörigen von Risikopatienten beispielsweise deutlich mehr Energie verwendet werden.
First responder können zur Verkürzung des therapiefreien Intervalls beitragen —vor allem in Bereichen, in denen der Rettungsdienst die Hilfsfrist nur knapp oder nicht einhalten kann. Sie sollten in vorhandene Strukturen (z.B. Ortsvereine der Hilfsorganisationen, Freiwillige Feuerwehren) eingebunden und an die Rettungsleitstelle angebunden sein. Organisation, Ausbildung und Ausstattung von First respondern kann nur in Kooperation mit dem Träger des Rettungsdienstes erfolgen. Defizite beim first responder Konzept bestehen sowohl auf Seiten des Rettungsdienstes (mangelndes Problembewusstsein, mangelnde Kooperationsbereitschaft zur Einbindung der First responder in die Rettungsdienststrukturen, Finanzierung zusätzlicher Strukturen) wie auf Seiten der First responder (Verfügbarkeit über 24 Stunden in Abhängigkeit von der Kooperation des Arbeitgebers, hoher Aus- und Fortbildungsaufwand, verantwortungsvoller Einsatz versus „Blaulichtmentalität“). In der Diskussion wurde von Seiten der Ländervertreter Wert darauf gelegt, dass First responder kein Bestandteil des Rettungsdienstes sind, insbesondere nicht in die Berechnung der Hilfsfristeinhaltung einbezogen werden dürfen und auch nicht über den Rettungsdienst finanziert werden können. Einige Diskussionsteilnehmer wiesen darauf hin, dass First responder insbesondere bei zeitkritischen Notfällen bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes tätig sein sollen, woraus sich ein pointiertes und fachlich nicht überzogenes Ausbildungskonzept ableitet.
Erweiterter Rettungsdienst und Katastrophenschutz
In den letztjährigen Leinsweiler Gesprächen (15) wurde für eine Neustruktrurierung des erweiterten Rettungsdienstes und Katastrophenschutzes der Aufbau geeigneter Reservekapazitäten bei Rettungsdienst und Feuerwehr zur Erstversorgung und eine Ausrichtung dieser Einheiten auf ein wahrscheinliches Szenario sowie eine zu bewältigende Schadensgröße gefordert. Ein möglichst ortsnahe Organisationsstruktur sollte in Abhängigkeit von der Größe des Schadensereignisses durch eine Einsatzkoordination auf Landes- oder Bundesebene ergänzt und bei speziellen Gefahrenlagen (z.B. ABC-Gefahren) durch überregionale Task-forces unterstützt werden.
Kritisch anzumerken ist, dass gerade diese ortsnahe Einsatzorganisation mit Bezug zu Rettungsdienst und Feuerwehren in den Finanzierungskonzepten zugunsten einer Reaktivierung von Strukturen des Katastrophenschutzes wenig berücksichtigt werden. Auch in der Koordination der einzelnen Einheiten —insbesondere der Führungsstrukturen- bleiben noch viele Fragen offen. Letztlich sind die Kompetenzen und Einsatzindikationen von überregionalen Einheiten genauso wenig geklärt wie ihre Finanzierung.
Handlungsbedarf auf der Organisationsebene Länder
- Schaffung von Rettungsdienstbereichen von sinnvoller organisatorischer und betriebswirtschaftlicher Größe mit integrierten Leitstellen (über die Grenzen von Gebietskörperschaften hinweg).
- Einheitliche Definition der Hilfsfrist in den Länderrettungsdienstgesetzen.
- Ausstattung der Leitstellen mit zukunftsorientiertem technischen Standard (GIS, GPS, Digitalfunk).
- Länderübergreifende Standortplanung und Einsatzkoordination für übergeordnete Rettungsdienstsysteme (Luftrettung, Intensivtransport).
- Verkürzung des therapiefreien Intervalls durch verbesserte Laienhilfe (Ausbildungsoffensive beginnend in den Schulen) und Einführung strukturierter Ersthelfersysteme.
Organisationsebene Ärzteschaft
Am zweiten Tag des Symposiums beschäftigte sich die Diskussionsrunde mit Defiziten bei der Umsetzung von Konzepten, die vordringlich von der Ärzteschaft zu verantworten sind. K.H. Altemeyer(Saarbrücken) ging hierzu unter Vorsitz von Hp Moecke (Hamburg) und J. Scholz(Kiel) auf die ärztlichen Funktionen im Rettungsdienst, auf die Organisationsstruktur der Zielkliniken („Zentrale Notaufnahme), die Zusammenarbeit mit dem kassenärztlichen Bereitschaftsdienst sowie auf den Stellenwert der Notfallmedizin in Wissenschaft und Forschung ein.
Ärztliche Funktionen im Rettungsdienst
Der Ärztliche Leiter Rettungsdienst (ÄLRD)trägt die medizinische Verantwortung für den gesamten Rettungsdienstbereich. Dies schließt insbesondere auch die medizinische Verantwortung für die Rettungsleitstelle und die Fort- und Weiterbildung des Rettungsdienstfachpersonals ein. Eine seiner Hauptaufgaben ist das medizinische Qualitätsmanagement. Er sollte vom Träger des Rettungsdienstes ernannt und unabhängig von den Betreibern des Rettungsdienstes sein. Der Ärztliche Leiter Rettungsdienst ist gegenwärtig in sieben Landesrettungsdienstgesetzen verankert, in weiteren zwei Bundesländern ist eine gesetzliche Regelung zum ÄLRD in der Novellierung des jeweiligen Gesetzes vorgesehen. Damit ist eine bundesweite und einheitliche Umsetzung immer noch nicht erreicht. Auch das Aufgabenspektrum des ÄLRD ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich definiert. Insbesondere fehlt in vielen Rettungsdienstbereichen die eindeutige Zuordnung des ÄLRD zum Träger des Rettungsdienstes – die Eigeninteressen der Hilfsorganisationen verhindern vielerorts die Einführung eines unabhängigen, nur dem Rettungsdienstträger verpflichteten ÄLRD.
Der Leitende Notarzt(LNA)nimmt die medizinische Leitung des Rettungsdienstes bei Großschadenslagen wahr. Er ist in fast allen Landesrettungsdienstgesetzen definiert —jedoch mit zum Teil erheblichen Unterschieden in seinem Aufgabenspektrum und seinen Kompetenzen. In einigen Bereichen —etwa bei der Beratung und Planung von Großveranstaltungen oder Veranstaltungen mit größerem Gefahrenpotential- werden je nach landesspezifischer Regelung die Aufgaben des LNA und des ÄLRD vermischt.
Der Ärztliche Leiter Notarztstandort (ÄLNA)ist Ansprechpartner des ÄLRD vor Ort und nimmt am jeweiligen Notarztstandort eine zentrale Stellung im medizinischen Qualitätsmanagement wahr. Er sollte Weisungsbefugnis gegenüber allen am Standort eingesetzten Notärzten haben und für die Auswahl der am Standort tätigen Ärzte verantwortlich sein, dies wird auch Inhalt der von der Bundesärztekammer geplanten Empfehlungen sein. Denn bisher gehen die Gestaltungsmöglichkeiten des ÄLNA nicht über die Dienstplanaufstellung hinaus -insbesondere dann, wenn mehrere Abteilungen einer Klinik sich am Notarztdienst beteiligen und der Krankenhausträger keine verbindlichen Absprachen bezüglich der Verantwortlichkeit des ÄLNA für den Notarztdienst trifft. Nicht selten erfolgt die Ernennung des ÄLNA nach dem Zufallsprinzip oder der ÄLNA hat mangelnde, zum Teil sogar gar keine Erfahrung im Rettungsdienst.
In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass es dem Träger des Rettungsdienstes frei steht, in seinen Verträgen mit den am Notarztdienst beteiligten Kliniken die Benennung eines kompetenten ÄLNA als lokalen Ansprechpartner einzufordern. Dies ist insbesondere dann essentiell, wenn —wie in einer Reihe von Rettungsdienstbereichen zu beobachten- zunehmend frei- oder nebenberuflich tätige Ärzte in die notärztliche Versorgung eingebunden werden. Der ÄLRD kann in einem größeren Rettungsdienstbereich nicht die Fachaufsicht über die notärztlichen Kollegen der einzelnen Standorte übernehmen, er braucht den ÄLNA, mit dem er —so die Meinung in der Diskussionsrunde- als Primus inter pares möglichst konsensuale Lösungen für standortübergreifende Fragestellungen entwickeln muss.
Die Ausbildung des Notarztesist durch Verabschiedung der entsprechenden Weiterbildungsordnung durch den Deutschen Ärztetag verbessert worden. Die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin ist jedoch nur von einem Teil der Landesärztekammern umgesetzt. Einige Landesärztekammern zögern angesichts der aktuellen Diskussion um den sich abzeichnenden Notarztmangel vor einer zügigen Umsetzung zurück. Auch ist das bundeseinheitliche Curriculum zur Fachkunde Rettungsdienst noch nicht an die Vorgaben der Zusatzbezeichnung Notfallmedizin angepasst. Entsprechende Bemühungen zur Überarbeitung des Curriculums sind mit Vorbereitung einer Konsensuskonferenz durch die Bundesärztekammer zur Zeit im Gange. Insbesondere müssen die Kursinhalte dem fortgeschrittenen Stand der Weiterbildung der Kursteilnehmer angepasst werden.
In der Diskussion wurde auf die Bedeutung einer bundeseinheitlichen Regelung für die Migration der ärztlichen Kollegen und die Vergleichbarkeit der Weiterbildung verwiesen. Strittig war die Frage, ob der Weiterbildungsbefugte eine besondere notfallmedizinische Qualifikation haben müsse oder ob die Weiterbildungsbefugnis in einem Fach mit intensivmedizinischen Anteil ausreicht. Konsens war jedoch, dass der Weiterbildungsbefugte die Qualifikation des Weiterzubildenden —also die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin- haben sollte.
Verzahnung Notarztdienst — kassenärztlicher Bereitschaftsdienst
Nachdem am Vortag im Rahmen der Diskussion um die Auswirkungen der gDRGs und mögliche Handlungsoptionen bereits auf die Notwendigkeit einer engeren Verzahnung beider präklinischer ärztlicher Notfalldienste hingewiesen wurde, stellte die Diskussionsrunde erneut klar, dass eine zweigleisige Akutversorgung der Bevölkerung ineffektiv und kostspielig ist. Der Sicherstellungsauftrag der kassenärztlichen Vereinigungen wird —hier war man sich einig- gerade in den Sprechstundenzeiten nur unzureichend wahrgenommen, weil viele niedergelassene Ärzte die Unterbrechung ihrer Sprechstunde durch einen Notfallbesuch nicht mehr leisten können und daher auf den Notarztdienst verweisen. Bezeichnenderweise berichteten Diskussionsteilnehmer von Erfahrungen, in denen explizit der Notarzt vom Anrufer in der Leitstelle eingefordert wurde, weil entsprechende Erfahrungen bezüglich der Zeitverzögerungen beim Einsatz des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes bestanden. Ein 24stündiger kassenärztlicher Bereitschaftsdienst von Notfallpraxen aus oder die Zusammenführung beider Dienste —wie an einigen Stellen bereits praktiziert- wären mögliche Lösungen. Zumindest die Integration des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes in die Alarmierungsstruktur der Integrierten Leitstelle ist jedoch im Interesse der Bürger zu fordern, die mit der Zuordnung einer Notfallsituation zu einem der beiden Notfalldienste völlig überfordert sind. Die oftmals von massiven Eigeninteressen dominierten Entscheidungsprozesse berufsständiger Gremien lassen aber keine zügigen Veränderungen in diesem Bereich erwarten.
Schnittstelle Rettungsdienst — Krankenhaus
Defizite aus Sicht des Rettungsdienstes an der Schnittstelle zur Zielklinik sind die Zeitverzögerung bei der Übernahme des Patienten insbesondere auch bei der Fortführung präklinisch begonnener Therapiekonzepte, die fehlende fächerübergreifende Notaufnahme, die bereits präklinisch die häufig gar nicht zu leistende Zuordnung eines Patienten zu einem bestimmten Fachgebiet erzwingt und die Tatsache, dass Verlaufs- und Erfolgskontrollen für den Rettungsdienst häufig mit der Übergabe des Patienten enden.
Diskussionsteilnehmer berichteten von konkreten Erfahrungen mit interdisziplinären Notaufnahmen, die als eigenständige Krankenhausabteilung die Akutdiagnostik und —therapie aller Notfallpatienten durchführen, Betten für Kurzzeitintensivüberwachung und Kurzzeittherapie vorhalten und für die innerklinische wie präklinische Notfallversorgung zuständig sind. Notärzte aus derartigen Kompetenzzentren können ggfs. als Notarztreserve für periphere Standorte an Kliniken ohne Akutversorgungsabteilungen zur Verfügung stehen. Da der Notarzt aus einem derartigen Kompetenzzentrum den Notfallpatienten präklinisch versorgt und innerklinisch weiter betreut, wären die geschilderten Schnittstellenprobleme stark zu reduzieren.
Wissenschaft und Forschung in der Notfallmedizin
Forschung in der Notfallmedizin beschränkt sich bisher auf vergleichsweise wenige experimentelle wie epidemiologische Untersuchungen. Die jeweiligen wissenschaftlichen Arbeitskreise Notfallmedizin der DGU wie der DGAI haben sich um Intensivierung dieser Aktivitäten bemüht . So wurde das Traumaregister durch die DGU aufgebaut, so entwickelt die DGAI derzeit ein Reanimationsregister. Die wenigsten Universitätskliniken haben jedoch eigenständige Abteilungen, Sektionen oder Bereiche für die Notfallmedizin ausgewiesen —zum Teil angebunden an die Fächer Anästhesie oder Unfallchirurgie, zum Teil konzipiert als interdisziplinäres Institut. Die Aktivitäten dieser Bereiche konzentrieren sich zumeist auf die studentische Ausbildung oder die notfallmedizinische Fortbildung. Für Forschungsaktivitäten fehlen oft die personellen, strukturellen und finanziellen Voraussetzungen.
An der Frage, wie notfallmedizinische Forschung gefördert werden könne, entzündete sich eine kontroverse Diskussion.
Zum einen wurde darauf verwiesen, dass Universitäten zur Zeit ihre Strukturen verschlanken und daher eine Zersplitterung einzelner Fächer durch Aufbau von Sektionen kontraproduktiv sei. Die Anästhesie habe mit der neuen Approbationsordnung den Status eines eigenen Lehrfaches erhalten, was der Tatsache Rechnung trage, dass die Anästhesie mittlerweile die größte Arztgruppe in Deutschland stelle. Sie werde nicht mehr nur mit der Notfallmedizin gleichgesetzt. Diese Emanzipation des Faches würde durch eine Aufwertung der Notfallmedizin konterkariert. Auch kämpfe die Anästhesie um ihre Anerkennung als akademisches Fach. Akademische Forschung brauche jedoch akademische Themen und die seien gerade in der Notfallmedizin rar. Letztlich fehle der Notfallmedizin eine innerklinische Verankerung —die zentrale Notaufnahme könnte dies zukünftig einmal werden.
Dem wurde entgegengehalten, dass gerade eine Sektion für Notfallmedizin dem in der Approbationsordnung festgelegten Charakter der Notfallmedizin als Querschnittsfach besser gerecht werde, weil sich so die Vereinnahmung durch ein Einzelfach vermeiden ließe. Auf entsprechende Erfahrungen mit dem interdisziplinären Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement an der LMU München wurde verwiesen. Auch brauche der wissenschaftliche Nachwuchs feste Organisationsstrukturen, die eine notfallmedizinische Komponente im jeweiligen Fachgebiet etablieren und so notfallmedizinische Forschung unabhängig von Ordinariatswechseln und damit verbundenen Veränderungen der Forschungsschwerpunkte machen. Eine Sektion bedeute daher Kontinuität und auch eine berufliche Perspektive für den wissenschaftlichen Nachwuchs.
FW Ahnefeld erinnerte abschließend an die Entwicklung der Intensivmedizin, die ähnlich schwierig verlaufen sei. Die Bezeichnung der notwendigen universitären Organisationsstrukturen sei zweitrangig, die Wahrnehmung der notfallmedizinischen Forschungsaufgaben sei essentiell und müsse mit Kontinuität unabhängig vom jeweiligen Ordinarius und seinen spezifischen Interessensgebieten erfolgen.
Handlungsbedarf auf der Organisationsebene Ärzteschaft
- Verbindliches Qualitätsmanagement mit flächendeckender Einführung des von den Leistungserbringern unabhängigen Ärztlichen Leiters Rettungsdienst
- Schaffung von Voraussetzungen zur Intensivierung notfallmedizinischer Forschung.
Tabelle 1: Teilnehmer der 9. Leinsweiler Gespräche
Prof. Dr. Dr. hc F.-W. Ahnefeld Universität Ulm
Prof. Dr. K.-H. Altemeyer Klinik für Anästhesiologie, Klinikum Saarbrücken
LMR K.-H. Anding Bayrisches Staatsministerium des Inneren
Prof. Dr. Dr. hc W.F. Dick Klinik für Anästhesiologie, Klinikum der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
Dr. Dr. B. Dirks Sektion Notfallmedizin, Klinik für Anästhesiologie, Universität Ulm
PD Dr. V. Dörges Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Kiel
Prof. Dr. K. Ellinger Klinik für Anästhesiologie, St. Elisabeth Krankenhaus, Ravensburg
Dr. P. Enders Mitglied des Landtages von Rheinland-Pfalz, Facharzt für Anästhesiologie
B. Faehrmann AOK-Bundesverband, Bonn
Prof. Dr. M. Fischer Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Klinik am Eichert Göppingen
P. Goldschmidt ASB-Bundesverband, Köln
MinR G. Gräff Ministerium des Inneren und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz
PD Dr. A. Gries Universitätsklinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg
OAR H.-J. Gundlach Ministerium des Inneren und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz
MinR a.D. Dr. P. Hennes Herausgeber des Handbuches für das Rettungswesen
Hr. Klinke VdAK Bundesverband, Siegburg
A. Klug Mitglied des Deutschen Bundestages
PD Dr. H. Krieter Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Mannheim
Prof. Dr. Chr.-K. Lackner Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement der Ludwig-Maximilians-Universität München
Dr. M. Messelken Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Klinik am Eichert Göppingen
Dr. Hp. Moecke Ärztlicher Geschäftsführer, Klinikum Nord, LBK Hamburg
Dr. R. Müller Ministerium für Soziales, Frauen, Arbeit und Gesundheit des Landes Brandenburg
Dr. R. Reeb Klinik für Anästhesiologie, Klinikum Saarbrücken
Dr. W. Roth Ärztekammer des Saarlandes; Chirurgische Klinik, St. Elisabeth Klinik Saarlouis
Dr. K. Runggaldier Referat Rettungsdienst, Bundesgeschäftsstelle Malteser Hilfsdienst
Dr. M. Ruppert Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement der Ludwig-Maximilians-Universität München
ROR W. Schier Sozialministerium des Landes Hessen
K.-H. Schindler Rettungszweckverband Saar
Dr. Th. Schlechtriemen Klinik für Anästhesiologie, Klinikum Saarbrücken
Prof. Dr. J. Scholz Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Kiel
Prof. Dr. P. Sefrin Sektion Notfallmedizin, Klinik für Anästhesiologie, Universität Würzburg
Dr. D. Stratmann Institut für Anästhesiologie, Klinikum Minden
ROR R. Thome Ministerium für Inneres und Sport des Saarlandes
LMR G. Throm Sozialministerium des Landes Baden-Württemberg
S. Topp Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes
M. R. Ufer Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Göttingen
RAss T. Wettig Sozialministerium des Landes Baden-Württemberg
Literatur
1. Ahnefeld FW, Dick W, Knuth P, Schuster HP: Grundsatzpapier Rettungsdienst. Grundlagen zur Weiterentwicklung der Rettungsdienste und der notfallmedizinischen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland. Notfall Rettmed 1 (1998): 68-74
2. Ahnefeld FW, Altemeyer KH, Dick W, Lackner Chr K, Stratmann D: Klare Fakten und Empfehlungen der Experten — dringender Handlungsbedarf der Politik. Notfall Rettmed 6 (2003): 153
3. Altemeyer KH, Schlechtriemen Th, Reeb R: Rettungsdienst in Deutschland: Bestandsaufnahme und Perspektiven. Notfall Rettmed 6 (2003): 89-101
4. Ausschuss Rettungswesen: Abschlussbericht der Arbeitsgruppen Strukturfragen, Hilfsfrist und Massenanfall von Verletzten (2001) Mendel Verlag Aachen
5. Bundesärztekammer: Indikationskatalog für den Notarzteinsatz. Vorstandsbeschluss vom 23.11.2001. www.bundesärztekammer.de/30/Notfallmedizin/Indikationskatalog.html
6. Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND): Notarztindikationskatalog. Notarzt 17 (2001) A 31
7. Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND): Stellungnahme der BAND, DIVI und der ständigen Konferenz für den Rettungsdienst zu Auswirkungen der DRG auf die präklinische Akutversorgung. Notarzt 20 (2004):89
8. Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND): Stellungnahme zu aktuellen Problemen des Notarztdienstes. Notarzt 20 (2004):90-93
9. Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie, Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands, Ständige Konferenz für den Rettungsdienst: Notfallmedizin in der Gesundheitsreform. Forderungen an die Politik. Notfall RettMed 6 (2003): 62
10. Deutscher Ärztetag: Dokumentation des 107. Deutschen Ärztetages. Deutsches Ärzteblatt 101 (2004): A 1590-1592
11. Gemeinsamer Bundesausschuss: Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten. Deutsches Ärzteblatt 101 (2004): A 453-456
12. Griebeling S: Ärztlicher Bereitschaftsdienst und Arbeitszeit. Notfall Rettmed 4 (2001): 594-595
13. Lackner CK, Kanz KG, Rothenberger S, Ruppert M: AED-Anwenderperformanz von Laien- und Ersthelfern. Notfall- und Rettungsmedizin 4 (2001): 572-584
14. Ruppert M, Reeb R, Ufer MR, Stratmann D, Altemeyer KH: Personal im Rettungsdienst — brauchen wir neue Konzepte ? Bericht über die 7. Leinsweiler Gespräche am 05. und 06. Juli 2002. Notfall Rettmed 5 (2002): 375-379
15. Schlechtriemen Th, Lackner Chr K, Moecke Hp, Stratmann D, Altemeyer KH: Flächendeckende Notfallversorgung — Sicherstellung mit welchen Strukturen ? 8. Leinsweiler Gespräche der agswn in Zusammenarbeit mit INM, IfN und BAND, 04.-05. Juli 2003. Notfall Rettmed 6 (2003): 419-428
16. Schlechtriemen Th, Wannemacher A, Kettel W, Niederweis H, Brausch H, Altemeyer KH: Erste-Hilfe-Ausbildung in der Grundschule. Notfall Rettmed 7 (2004): 174-180
17. Schneider R, Topp S: Das neue Arbeitszeitgesetz. Auswirkungen auf den Rettungsdienst. Notfall Rettmed 7 (2004): 273-278