Qualitätsmanagement-Workshop 2001 (26./27. Januar 2001)
Nach den bereits 1994 aufgestellten Forderungen zum Qualitätsmanagement in der präklinischen Notfallmedizin (siehe Kapitel 4.8.1) haben gut 7 Jahre später, am 26./27. Januar 2001 in einer gemeinsamen Veranstaltung unter Leitung von F.W. Ahnefeld, H.-P. Knapp und M. Wendt das Sozialministerium Mecklenburg-Vorpommern und die Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin der Ernst Moritz Arndt-Universität Greifswald im Ostseebad Dierhagen zur gleichen Thematik eine Bestandsaufnahme durchgeführt.
Bereits die in der Trägerschaft demonstrierte Gemeinsamkeit, aber auch die gemeinsame Diskussion von Notfallmedizinern und Vertretern der Administration (z.B. der Ausschuss ‚Rettungswesen‘) offeriert die Besonderheit dieser Veranstaltung.
Die BAND e.V. hat eine umfassende Zusammenstellung der Aussagen in einem Sonderheft des NOTARZT aus dem Jahre 2001 als Supplement 1 publizieren.
Hier soll die von Prof. Dr. F.W. Ahnefeld erarbeitete Zusammenfassung zum Workshop – in leicht gestraffter Fassung – wiedergegeben werden:
Zusammenfassung der Ergebnisse des Interdisziplinären Symposions ‚Qualitätsmanagement im Rettungsdienst‘ im Ostseebad Dierhagen 2001
Einführung
Etwa 160 Notfallmediziner, Vertreter der für den Rettungsdienst zuständigen Länderministerien, der Leistungserbringer – Hilfsorganisationen und Feuerwehren — sowie der Kostenträger haben beim bereits ‚2. Öffentlichen Forum‘ im Mecklenburg-Vorpommern über das Thema ‚Qualitätssicherung im Rettungsdienst — Lippenbekenntnisse versus Realität‘ diskutiert.
Nach der Begrüßung durch die Sozialministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Frau Dr. Martina Bunge, und einem Einführungsreferat über Grundsatzfragen von Qualität und Qualitätssicherung im Rettungsdienst wurden in drei Abschnitten jeweils
- die Sicherung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität für den jeweiligen Bereich erörtert,
- bestehende Defizite aufgezeigt und
- Lösungsvorschläge zur Diskussion gestellt.
Zunächst wurden – im Rahmen der Strukturqualität – die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen mit den Zuständigkeiten des Bundes und der Länder erörtert und die personellen Voraussetzungen, insbesondere die fachliche Qualifikation der ärztlichen und nichtärztlichen Mitarbeiter dargestellt, schließlich auch die Aufgaben und personelle Besetzung der (Rettungs-)Leitstellen sowie die technischen Anforderungen an die eingesetzten Rettungsmittel abgehandelt, um damit die Grundlagen für eine dem Bedarf und der Zielsetzung entsprechende Strukturqualität zu schaffen.
Im Rahmen der Prozessqualität spielte die Auseinandersetzung um die gesetzlichen, notfallmedizinischen aber auch finanziellen Voraussetzungen der Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen des Rettungsdienstes eine besondere Rolle. Hier wurde auf die Auswirkungen europarechtlicher Vorgaben hingewiesen (Beispiel DIN EN 1789 für Krankenkraftwagen oder eine Diskussion um einen Vergleich mit dem in anderen Ländern praktizierten Paramedic-System, das den Notarzt im deutschen Sinne nicht kennt). Aber auch die Problematik der Schnittstelle zwischen präklinischer Notfallversorgung und der anschließenden Notaufnahme im Krankenhaus sowie der weiteren stationären Behandlung wurde eingehend analysiert und diskutiert.
Im dritten Tagungsteil beschäftigten sich die Referenten und Teilnehmer mit der Ergebnisqualität. Dabei wurde insbesondere auf den Bedarf eines ausreichenden Datenmaterials hingewiesen, eine zwingende Notwendigkeit, um die Effektivität und Effizienz überprüfen zu können. Ein Datenrückfluss aus den Krankenhäusern zum Notarzt ist für das Qualitätsmanagement von entscheidender Bedeutung, um die Effektivität notärztlicher Maßnahmen in Bezug auf die Diagnostik und Therapie bewerten zu können. Dafür sind gezielte Gesetze, Verordnungen, vor allem Absprachen mit den Datenschutzbeauftragten notwendig.
Den Abschluss bildete ein Referat zur Frage, welche Möglichkeiten für den Ausschuss „Rettungswesen“ bestehen (in ihm sind die Referenten der für den Rettungsdienst zuständigen Länderministerien vertreten), angesichts der „16-fachen Länderkompetenzen“ zu einer einheitlichen, zumindest inhaltlich abgestimmten Gewährleistung von Qualität und Qualitätssicherung zu kommen. Nur bei einer in Eckwerten harmonisierten Grundlage ist ein länderübergreifender ggf. sogar bundesweiter Vergleich insbesondere der Effizienz der Rettungsdienste überhaupt möglich.
Aus der Sicht der Veranstalter sind folgende Grundpositionen festzuhalten, die sich aus den vorgetragenen Thesen der Referenten und aus den Beiträgen in den Diskussionen ergaben:
- Der Rettungsdienst muss als (notfall-)medizinische, nicht nur wie bisher als Beförderungsleistung in die „Krankenbehandlung“ des SGB V übernommen werden
Nur eine solche Lösung garantiert, dass für alle 16 Bundesländer die Forderung nach Umsetzung von Qualität auch in gleicher Weise verbindlich festgelegt wird. Dabei bestand aber auch Übereinstimmung dahingehend, dass die Forderung nach Qualität und Qualitätssicherung nicht nur dem Zeitgeist oder einem modernen Trend folgt, sondern eine dringende sachlich begründete Notwendigkeit darstellt, um eben ständig die Relation zwischen Aufwand und Nutzen feststellen und damit auch eine Korrektur von Defiziten vornehmen zu können.
Ferner wurde die Bereitschaft deutlich, beim Begriff der Qualität auch der Sicht des einzelnen Patienten mehr Raum zu geben, um die Zufriedenheit des Patienten mit der erbrachten Leistung, aber auch seine Betreuung mitzubewerten …
- Soweit die Länder (auch nach einer Änderung des SGB V) für die Grundsatzfragen der Organisation und Durchführung des Rettungsdienstes verantwortlich sind (bleiben), sind für ein bundesweit anwendbares Qualitätsmanagement im Rettungsdienst zumindest harmonisierte vergleichbare Regelungen im Bereich der Strukturqualität vorzusehen, wenn schon aus den unterschiedlichen Interessenlagen heraus ein „Mustergesetz“-Entwurf nicht umsetzbar erscheint. Denn nur eine vergleichbare Basis lässt überhaupt vergleichende Untersuchungen zu, die immer wieder von Gesundheitspolitikern, aber auch von Kostenträgern gefordert werden.
- Grundstein jeder Qualitätssicherung ist die Schaffung einer einheitlichen Datenerfassung und Dokumentation, die zumindest im Datensatz übereinstimmen und in allen Bundesländern verpflichtend und einheitlich sein muss. Hierfür ist eine Referenzdatenbank zu schaffen, die auch von allen Leistungserbringern angewendet wird.
Soweit vorhanden, müssen Hemmnisse des Datenschutzes geklärt werden. Der Hinweis auf diesen „Schutz“ darf keinesfalls dazu führen, die Bereitstellung notwendiger Datenunterlagen zu verhindern.
- Eine der wesentlichsten Grundvoraussetzungen einer Datenüberprüfung ist ein „Abgleichen“ in der bisher sehr unterschiedlichen „Hilfsfrist“-Definition. Wenn aus notfallmedizinischer Sicht eine Hilfeleistung von maximal acht Minuten für lebensbedrohliche Situationen notwendig erscheint, dann ist ein Toleranzzeitraum von mehreren Minuten, der sich aus dem unterschiedlichen Beginn dieser Fristberechnung in den Bundesländern ergibt, nicht hinzunehmen. Die Hilfsfrist stellt primär eine wichtige Planungsgröße dar. Für die Beurteilung der medizinischen Leistung muss das therapiefreie Intervall in die Dokumentation aufgenommen und klar definiert werden (siehe hierzu auch Kapitel III — 3.1 dieses ‚BAND-Ordners‘).
- Unabdingbar für jeden Versuch einer Qualitätssicherung ist nach Auffassung aller Tagungsteilnehmer die generelle Einführung des „Ärztlichen Leiters Rettungsdienst“. Nur wenn ein kompetenter Notfallmediziner die entsprechende Verantwortung für das Qualitätsmanagement übernimmt, hat dieses auch Aussicht auf erfolgreiche Umsetzung.
- Letztlich bestand Übereinstimmung darin, dass Qualität ihren Preis hat: „Wer nur an die Kosten denkt, senkt die Qualität, wer Qualität erreicht, senkt die Kosten“. Diese Feststellung gilt auch für das Qualitätsmanagement im Rettungsdienst selbst. So gehören die Aufwendungen für den Ärztlichen Leiter Rettungsdienst in die Kosten des Rettungsdienstes, dürfen also nicht den Leistungserbringern überlassen werden. Es kann keine Verpflichtung zum Qualitätsmanagement einerseits geben, wenn andererseits keine klare, möglichst einheitliche Finanzierung festgelegt wird.
- Die Teilnehmer waren darin einig, dass sich auch der Rettungsdienst bemühen muss, angesichts der Debatte um die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen gerade durch das Qualitätsmanagement und aus den Ergebnissen Strukturen, Organisationsformen und Modelle von höchster Effizienz zu entwickeln. Die Verpflichtung zur Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung steht an erster Stelle.
Es muss geprüft werden, ob Forderungen der Krankenkassen nach Kostenreduzierung z.B. durch eine Verbesserung der Organisationsstruktur, durch eine Verringerung der Zahl der kostenintensiven Leitstellen möglich sind. Standorte von Rettungswachen sollten sich nach sachlich begründbaren Notwendigkeiten, nicht nach kommunalpolitischen Interessen ausrichten.
Auch im Bereich der Luftrettung muss eine bessere Abstimmung zwischen allen Beteiligten über die tatsächlich notwendige Vorhaltung erfolgen. Gerade hier dürften nicht nur regionale oder sogar rein lokale Wünsche entscheidend sein. Insgesamt gesehen ist eine bessere Kooperation der Kostenträger und Leistungserbringer erforderlich, eine Polarisierung bringt keine Lösungen.
- Ein Beispiel für eine bessere Abstimmung mit der Möglichkeit von Kostenreduktionen stellt die notwendige Koordination des Rettungsdienstes mit dem ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung dar.
Die überwiegende Mehrzahl der bisher vorliegenden Untersuchungen kommt zu einer relativen „Fehleinsatzquote“ von ca. 30%, d.h. der Notarzt versorgt in diesen Fällen einen Patienten, für dessen Behandlung der Hausarzt zuständig gewesen wäre. Hier war man einhellig der Auffassung, dass die Schaffung einer gemeinsamen Einsatzlenkung für beide Versorgungssysteme eine wesentliche Verbesserung und auch Kostenreduktion darstellen könne. Die Forderung lautet: Alle medizinischen Hilfeersuchen müssen zentral bei einer Leitstelle auflaufen. Diese Lösung wird nur durch eine Regelung im SGB V realisierbar sein. Dem Bundesgesundheitsministerium liegt diese Forderung seit längerer Zeit vor. Auch die Problematik der „einheitlichen“ Notrufnummer (112) für alle Arten medizinischer Anforderungen sollte in diesem Zusammenhang nochmals eingehend erörtert werden. Untersuchungen in diesem Bereich belegen ebenfalls, dass die „Verwirrung“ in der Bevölkerung über die unterschiedlich möglichen Alarmierungswege häufig zu einer unnötigen Verlängerung des therapiefreien Intervalls beiträgt, aber auch zur Anforderung einer falschen, nicht notwendigen Versorgungsebene (Notarzt statt Bereitschaftsarzt).
- Die Diskussion um die Einführung der DRG-Fallpauschalen und deren Umsetzung in den Krankenhäusern muss in ihren eventuellen Auswirkungen auf den Rettungsdienst verstärkt geführt werden.
Dies betrifft einmal die Einbindung des Krankenhauses unmittelbar in den Rettungsdienst, z.B. durch die Mitwirkung von Krankenhausärzten als „Notärzte“. Wie kann und wird dieser Aufwand erfasst und abgerechnet werden? Lässt sich ggf. ein Zuschlag erreichen? Gelten die „Zuschläge für die Notfallversorgung“ nach § 17 b Abs. 1 Satz 4 Krankenhausfinanzierungsgesetz in der Änderung durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 für den „Notarzt“ (des Krankenhauses) in der präklinischen Versorgung oder „nur“ für die stationäre, klinische Versorgung von Notfällen, die schon in das Krankenhaus eingeliefert worden sind ? Wie steht es mit der nicht auszuschließenden Entwicklung, dass Krankenhäuser versucht sind (sein können), aus Furcht vor hohen Behandlungskosten die Aufnahme von Schwerstverletzten nach Unfällen „zu steuern“ und eine Aufnahme abzulehnen?
Ferner muss die Problematik der zumindest medizinisch (und nicht nur ökonomisch) indizierten externen Verlegungen angesprochen werden. Werden diese unmittelbar vom Krankenhaus über Fallvergütungen – ggf. mit Anreiz zur Schaffung eines eigenen Transportmanagements – finanziert oder wird hierfür die Vorhaltung des Rettungsdienstes über die üblichen Benutzungsentgelte in Anspruch genommen?
An die Gesellschaft richtet dieses zweite interdisziplinäre Symposium in Dierhagen den Appell zur Einsicht, dass der Rettungsdienst nicht verpflichtet werden kann, alle Risiken abzudecken ! Der Staat kann nicht die Funktion eines „Generalversicherers“ übernehmen.
Dies betrifft z.B. die immer bestehende Verpflichtung zur Selbsthilfe und Ersten Hilfe für Andere in dem therapiefreien Zeitraum, der sich bei noch so kurzer Festlegung einer Hilfsfrist zwangsläufig ergibt.
Aber auch die Problematik bei Einsätzen, die letztlich nur durch das eigene, das übliche Maß überschreitende Risiko des Betroffenen verursacht werden, muss vorurteilsfrei erörtert werden bis hin zu einer denkbaren Lösung, zumindest den Kostenfaktor durch eine zusätzliche Versicherung zur Entlastung der Solidargemeinschaft beeinflussen zu können.