10. Leinsweiler Gespräche der agswn e.V. in Zusammenarbeit mit INM, IfN und BAND, 01.- 02. Juli 2005
Der Erfolg notfallmedizinischer Behandlungskonzepte ist oftmals abhängig vom Zeitfaktor. Nicht nur in der Versorgung schwersttraumatisierter Patienten gilt die „Golden hour“ –auch beim Akuten Coronarsyndrom und Akuten Schlaganfall ist die Prognose des Patienten entscheidend abhängig von einer zügigen präklinischen Versorgung, die nahtlos in der Klinik fortgeführt werden muss. Andererseits lässt sich bei einer Reihe von Notfallpatienten mit den eingeschränkten diagnostischen Möglichkeiten der prähospitalen Notfallmedizin keine eindeutige Diagnose und damit auch keine klare Zuweisung zu einer klinischen Fachabteilung realisieren.
T. Schlechtriemen1, B. Dirks2, Chr.-K. Lackner3, Hp Moecke4, D. Stratmann5, KH Altemeyer1
1 Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Klinikum Saarbrücken
2 Sektion Notfallmedizin, Klinik für Anästhesiologie, Universität Ulm
3 Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement (INM), Klinikum der Universität München
4 Klinikum Nord —Ochsenzoll, LBK Hamburg
5 Institut für Anästhesiologie, Klinikum Minden
Die Interdisziplinäre Notaufnahme im Zentrum zukünftiger Notfallmedizin
10. Leinsweiler Gespräche der agswn e.V. in Zusammenarbeit mit INM, IfN und BAND, 01.- 02. Juli 2005
Der Erfolg notfallmedizinischer Behandlungskonzepte ist oftmals abhängig vom Zeitfaktor. Nicht nur in der Versorgung schwersttraumatisierter Patienten gilt die „Golden hour“ –auch beim Akuten Coronarsyndrom und Akuten Schlaganfall ist die Prognose des Patienten entscheidend abhängig von einer zügigen präklinischen Versorgung, die nahtlos in der Klinik fortgeführt werden muss. Andererseits lässt sich bei einer Reihe von Notfallpatienten mit den eingeschränkten diagnostischen Möglichkeiten der prähospitalen Notfallmedizin keine eindeutige Diagnose und damit auch keine klare Zuweisung zu einer klinischen Fachabteilung realisieren.
Damit ist das Konzept einer Interdisziplinären Notaufnahme, die an der Schnittstelle zwischen Rettungsdienst und Klinik die präklinische Diagnostik komplettiert und zeitkritisch den Patienten der optimalen klinischen Therapie zuführt, ein zentrales notfallmedizinisches Anliegen.
Die 10. berufspolitische Tagung der Arbeitsgemeinschaft Südwestdeutscher Notärzte (agswn e.V.) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement (INM) des Klinikums der Universität München, dem Institut für Notfallmedizin (IfN) der LBK Hamburg GmbH, der Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND e.V.) und dem Länder-Ausschuss Rettungswesen diskutierte daher drei Themenblöcken:
- Welche Ansprüche an die Interdisziplinäre Notaufnahme sind aus notfallmedizinischer Sicht zu stellen ?
- Welche Erfahrungen und Probleme gibt es national und international bei der konkreten Umsetzung einer Interdisziplinären Notaufnahme ?
- Und wie beurteilen die Partner im Rettungsdienst –Ministerien, Kommunen, Rettungszweckverbände und Hilfsorganisationen- das Konzept der Interdisziplinären Notaufnahme ?
Teilnehmer der Veranstaltung waren Vertreter des Klinikmanagements und verantwortliche Ärzte aus Kliniken mit Interdisziplinärer Notaufnahme in Deutschland, Europa und den U.S.A., Abgeordnete der Landesparlamente als Vertreter der Politik, Vertreter der für den Rettungsdienst zuständigen Ministerien der Länder, der Hilfsorganisationen sowie der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte (Tabelle 1).
Die Interdisziplinäre Notaufnahme – Anspruch und Wirklichkeit
Zu Beginn des Symposiums stellte B. Dirks(Ulm) die Erwartungen der Notfallmedizin an das Konzept einer Interdisziplinären Notaufnahme zusammen.
Die Übergabe des Patienten vom Notarzt an die weiterversorgende Klinik ist als Schnittstelle zwischen außer- und innerklinischer Notfallversorgung ein sehr sensibler Bereich. Hier kann es bei unzureichenden Organisationsabläufen bei Patienten mit eingeschränkten Vitalfunktionen zu einer den Patienten gefährdenden oder gar schädigenden Versorgung kommen. Ohne das Notarztsystem würde sich die Schnittstellenproblematik bei der Aufnahme von Notfallpatienten noch deletärer auswirken. Der Notarzt leistet für die Kliniken die „Vorsortierung“ des ernsthaft Erkrankten –mit begrenzten diagnostischen Mitteln. Daher ist eine zügige weiterführende Diagnostik zur Diagnosefindung und Übergabe an die entsprechende Fachabteilung (Einordnung nach Patientenpfaden) zur optimalen Patientenversorgung essentiell. Gerade dies leistet eine Interdisziplinäre Notaufnahme. Zudem ist eine zügige und zielgerichtete Patientenversorgung auch aus wirtschaftlicher Sicht unter den Bedingungen des DRG-Systems für die Kliniken entscheidend –daher werden sich Interdisziplinäre Notaufnahmen zukünftig immer mehr durchsetzen.
Die Idealstruktur einer Interdisziplinären Notaufnahme aus notfallmedizinischer Sicht bewältigt die interdisziplinäre Versorgung von Patienten aus allen Disziplinen mit frühestmöglicher Trennung zeitkritischer von nicht zeitkritischen Patienten. Die symptombezogene und auf die Sicherung der Vitalfunktionen ausgerichtete notfallmedizinische Denkweise optimiert die klinische Erstversorgung. Die Übergabe aus der Interdisziplinären Notaufnahme an die weiterbehandelnde klinische Spezialdisziplin sollte im Regelfall erst nach Beseitigung der Vitalgefährdung und nach Feststellung der Notwendigkeit einer stationären Patientenversorgung erfolgen. Dies schließt nicht aus, dass die Spezialdisziplin –etwa der Unfallchirurg beim Polytrauma oder der Kardiologie beim akuten Myokardinfarkt- bereits frühzeitig in das Team der Interdisziplinären Notaufnahme eingebunden werden. In größeren Kliniken sollte die weitere Abklärung auf einer, der Interdisziplinären Notaufnahme angeschlossenen Überwachungsstation erfolgen. Dabei muss der Zeitraum bis zur Übergabe organisatorisch und bezogen auf die einzelnen Krankheitsbilder klar definiert und mit den weiterbehandelnden Disziplinen abgesprochen sein, damit es zu einer reibungslosen innerklinischen Patientenübernahme aus der Interdisziplinären Notaufnahme kommt.
Mindestvoraussetzung an die baulichen Strukturen wären eine zentrale Anordnung der Interdisziplinären Notaufnahme mit Minimierung der Patientenwege zu den notwendigen Diagnostikeinrichtungen (z.B. Röntgen, CT, Labor, OP, Intensivstation -aber auch Herzkatheterlabor) und damit kurzen Transportzeiten für vitalbedrohte Patienten sowie eine gute ebenerdige externe Erschließung sowohl für den Rettungsdienst als auch für Notfallpatienten, die sich selbst einweisen. Eine räumliche Trennung in Ambulanzbereich, Schockraum und Notfallstation mit getrennter Zugänglichkeit (Trennung der Patientenpfade von vitalgefährdeten und nicht lebensbedrohlich beeinträchtigten Patienten) ist anzustreben.
Die personelle Umsetzung des Konzeptes der Interdisziplinären Notaufnahme erfordert im 24 Stunden Betrieb eine dauerhafte organisatorische Leitungsstruktur mit festem ärztlichen und pflegerischen Personalstamm aus dem Bereich Anästhesie, Chirurgie und Innere Medizin sowie ggf. der Neurologie. Dieser feste Personalstamm sollte durch Rotationsstellen ergänzt werden, auf denen Kollegen der genannten Fächer im Rahmen ihrer Facharztausbildung sich mit dem Aufgabengebiet der Interdisziplinären Notaufnahme vertraut machen. Über die Integration dieser Rotationszeiten in die Weiterbildungsordnung der genannten Fachgebiete ist zu diskutieren. Optimalerweise sollte sowohl das notärztliche Personal als auch Teile des Rettungsdienstpersonals von der Interdisziplinären Notaufnahme gestellt werden.
Um eine Flächendeckung erreichen zu können, wäre deutschlandweit mit einem Bedarf von etwa 300 Interdisziplinären Notaufnahmen zu rechnen. Etwa 20 Kliniken weisen in ihrer Internetpräsenz eine hauseigene Interdisziplinäre Notaufnahme aus –viele weitere ordnen einer fachgebundenen Ambulanz jedoch den oben skizzierten Aufgabenkatalog einer Interdisziplinären Notaufnahme zu. Leider ist die Integration des Notarztdienstes in die Interdisziplinäre Notaufnahme eine absolute Ausnahme. Über eine Integration des Rettungsdienstes wird in keinem Fall berichtet.
Damit leitete Dirks über zu dem Vortrag von H.-J. Hennes (Dortmund), der am Beispiel des St. Johannes-Hospitals in Dortmund die Schwierigkeiten bei der konkreten Umsetzung eines Konzeptes mit Interdisziplinärer Notaufnahme aufzeigte.
Räumliche Struktur
Zur Umsetzung des „Konzeptes der kurzen Wege“ innerhalb der Interdisziplinären Notaufnahme bedarf es in Altbauten eines erheblichen Planungsaufwandes. Die Zusammenarbeit mit den zuständigen Aufsichtsbehörden, die fehlende Erweiterungsmöglichkeit der Bausubstanz im innerstädtischen Bereich sowie der schlechte Zuschnitt von Altbauten können die Umsetzung von neuen Konzepten stark erschweren.
Organisation
Die Interdisziplinäre Notaufnahme dient definitionsgemäß als direkte Anlaufstelle für alle unangemeldeten Patienten und Notfälle zu jeder Tageszeit. Hiervon ausgenommen sollten Notfällen mit sehr spezifischen Behandlungsnotwendigkeiten sein –etwa geburtshilfliche Notfälle mit direkter Vorstellung im Kreissaal. Auch über die klinische Erstversorgung von pädiatrischen Notfällen oder Notfällen aus Spezialfächern wie der Augenheilkunde oder der HNO wäre nachzudenken. So lässt sich das Prinzip der alleinigen Aufnahmestation nicht in jedem Fall stringent durchsetzen. Für einbestellte / angemeldete Patienten sollten getrennte Aufnahmewege vorgesehen werden. Ebenso benötigen Routinesprechstunden getrennte Ambulanzräumlichkeiten.
Mehr als durch Einlieferungen des Rettungsdienstes –die durch Information der Leitstelle gut steuerbar sind- wird die Interdisziplinäre Notaufnahme durch „walking emergencies“, Selbsteinweiser zu Fuß, in Anspruch genommen, wobei die Ausschilderung der Räumlichkeiten für diese Gruppe sehr wichtig ist.
Da die Vergütung ambulanter Leistungen im Krankenhaus ausgesprochen schlecht ist, muss eine frühzeitige Trennung zwischen stationär aufzunehmenden und ambulant zu führenden Patienten zusätzlich zu der notwendigen Triage bezüglich Versorgungsdringlichkeit erfolgen. Patienten, die keiner stationären Versorgung bedürfen können nur auf allgemeinärztlichem Niveau versorgt werden –hier ist der Verweis auf den kassenärztlichen Notdienst bzw. der Verbund mit einer kassenärztlichen Notfallpraxis anzustreben.
Der Interdisziplinären Notaufnahme ist eine Kurzliegerstation angeschlossen, deren Behandlungsplätze jedoch denjenigen nicht vital bedrohten Patienten vorbehalten sind, deren medizinische Weiterversorgung nicht abgeklärt ist (Bedsite-Diagnostik). Die Anzahl dieser Behandlungsplätze lässt –zumindest im Dortmunder Modell- einen Betrieb im Sinne einer Aufnahmestation mit Verweildauern bis zu einem Tag nicht zu. Die Patienten sollen innerhalb von 6-8 Stunden, spätestens aber bis zum Beginn des Tagesbetriebes verlegt oder entlassen werden. Um dies zu ermöglichen muss jede Fachabteilung des Klinikums einen Teil ihrer freien Betten der Interdisziplinären Notaufnahme melden, deren Leiter über diese Betten frei verfügen kann. So wird eine zügige Weiterversorgung innerhalb der Fachabteilung gewährleistet. Probleme bei Verlegung kann es trotzdem geben, weil z.B. chirurgische Patienten nur eingeschränkt auf eine internistische Station verlegt werden können und umgekehrt.
Ärztliche Zuständigkeiten
Die Interdisziplinäre Notaufnahme bedarf einer eigenständigen Leitung mit den Kompetenzen eines Chefarztes. Ein zunächst praktiziertes Rotationsverfahren zwischen Oberärzten der beteiligten Fachdisziplinen funktionierte im Alltagsbetrieb nicht.
Die Interdisziplinäre Notaufnahme – Erfahrungen und Probleme
Während in Deutschland Erfahrungen mit einer Interdisziplinären Notaufnahme erst an wenigen Kliniken vorliegen, gibt es in anderen Ländern flächendeckende notfallmedizinische Konzeptionen, in denen die Interdisziplinäre Notaufnahme im Zentrum der Notfallversorgung steht. Um aus diesen Erfahrungen lernen zu können, stellten in einem zweiten Themenblock unter Vorsitz von Hp. Moecke (Hamburg) und M. Fischer (Göppingen) notfallmedizinische Kollegen aus den U.S.A., Frankreich, Österreich und Deutschland ihre jeweiligen Systeme vor.
S. Hahnvom Mount Sinai Universitätsklinikum in New York (U.S.A.) berichtete vom amerikanischen notfallmedizinischen System. Die Notfallmedizin ist in den Vereinigten Staaten seit 1979 als eigenständige Facharztbezeichnung (Emergency physician, EP) etabliert. Tätigkeitsfeld des EP ist die Notaufnahme, eine präklinische ärztliche Versorgung kennt das amerikanische Notfallsystem nur im Ausnahmefall. Die Facharztausbildung der Emergency physicians erfolgt zu 50% in der Notaufnahme, hinzu kommen Ausbildungsabschnitte in Anästhesie, Chirurgie, Innere Medizin mit Schwerpunkt Toxikologie, Geburtshilfe, Pädiatrie und Intensivmedizin. Die Ausbildung vermittelt ein breites Querschnittswissen, das es den Notfallmedizinern ermöglicht, in der Notaufnahme eine zügige Risikoeinschätzung und Diagnosefindung durchzuführen, das Gros der leichteren Notfälle eigenständig zu versorgen und bei spezifischen Notfällen an die jeweilige Fachdisziplin zu übergeben. Ein Traumapatient wird beispielsweise erst mit OP-Indikation an den Unfallchirurgen übergeben, ein Patient mit STEMI in der Regel erst zur PCI an den Kardiologen. Die Notaufnahmestation (Emergency Department) garantiert damit eine zeitkritische Patientenversorgung unter notfallmedizinischen, interdisziplinären Behandlungsprinzipien. Medizinisches Spezialwissen –unbestritten notwendig in der Versorgung spezifischer Krankheitsbilder aber in der differentialdiagnostischen Abwägung von Behandlungsprioritäten zum Teil sicherlich auch hinderlich- wird erst im Bedarfsfall aktiviert.
Das französische notfallmedizinische System stellte O. Boekels am Beispiel von Mulhouse im Elsass vor. Die französischen Departements sind in mehrere Gesundheitszonen aufgeteilt, von denen jede über mindestens ein großes Gesundheits- /Ambulanzzentrum mit interdisziplinärer Notaufnahme verfügen muss. Zudem gibt es flächendeckend kleinere Bürger nahe Ambulanzzentren (centre de proximité). Die interdisziplinäre Notaufnahme ist Teil eines notfallmedizinischen Gesamtkonzeptes, zu dem die arztbesetzte Rettungsleitstelle (SAMU), der präklinisch eingesetzte Notarzt (SMUR) und die der Notaufnahme angeschlossene Kurzaufnahme- und Überwachungsstation (UHTCD) gehören. Die Rettungsleitstelle Mulhouse bearbeitete mit einem Einzugsgebiet von ca. 450.000 Einwohnern in 2004 121.593 Hilfeersuchen. Die beiden in Mulhouse stationierten Notarzteinsatzfahrzeuge (Besetzung: Notarzt, Krankenschwester/-pfleger, Fahrer) absolvierten im selben Zeitraum 8.540 Einsätze. In der interdisziplinären Notaufnahme des Klinikums Mulhouse wurden 2004 48.447 Patientenkontakte gezählt –90% der stationären Aufnahmen des Klinikums erfolgten über die Notaufnahmestation. Auf der Kurzaufnahme- und Überwachungsstation wurden 4.914 Patienten behandelt –54,2% konnten entlassen werden, die übrigen wurden innerhalb von 24 Stunden in andere Klinikabteilungen verlegt. In Frankreich ist –analog zu den Vereinigten Staaten- der Facharzt für Notfallmedizin eingeführt, dessen Arbeitsschwerpunkt innerklinisch in der interdisziplinären Notaufnahme mit angeschlossener Überwachungsstation liegt, der aber auch präklinisch in der Rettungsleitstelle und als Notarzt tätig ist. Interessanterweise ist in der interdisziplinären Notaufnahme die Funktion der Patiententriage (Anamnese, Vitalfunktionskontrolle, Zuordnung zum Behandlungspfad Traumatologie oder Innere Medizin) einer speziell ausgebildeten „Orientierungsschwester“ (IAO) zugeordnet –es bestehen sehr gute Erfahrungen mit der Güte der Diskriminierung von Beschwerdebild und Dringlichkeit durch dieses Spezialpersonal. O. Boekels fasste die Vor- und Nachteile der französischen interdisziplinären Notaufnahme zusammen:
Vorteile
- keine Schnittstellenproblematik zwischen Rettungsdienst und Klinik (personelle Verflechtung beider Bereiche)
- zügige, umfassende und zielgerichtete Diagnostik bis zur Übergabe an die Spezialklinik
- keine Zeitverluste durch Einordnung des Patienten in „falsche“ Behandlungspfade
- Die der Notaufnahme angeschlossene Überwachungsstation ermöglicht eine kurzzeitige Verlaufsbeobachtung und vermindert unnötige Krankenhausaufenthalte
Nachteile
- Innerklinische Schnittstellenproblematik: Nachgeschaltete Abteilungen fühlen sich für die Notfallbehandlung nicht zuständig – auch wenn es um spezielle Notfälle ihres Fachgebietes geht.
- Innerklinische Schnittstellenproblematik: Patienten werden von der Überwachungsstation nicht innerhalb von 24 Stunden übernommen.
- Nadelöhrproblematik: Zwei Polytraumen können die Kapazitäten der gesamten Notaufnahme binden und die Versorgung aller übrigen Patienten zeitlich erheblich verzögern.
- Nur kurze Patientenkontakte: Facharzt für Notfallmedizin wünscht sich mehr feed-back über den weiteren Behandlungsverlauf bzw. das Behandlungsergebnis in der nachbehandelnden Klinik.
Von den Erfahrungen der Notaufnahmestation in der Universitätsklinik für Notfallmedizin des Allgemeinen Krankenhauses Wien berichtete A. N. Laggner. Alle nicht-traumatologischen Patienten werden in der Notaufnahmestation versorgt. Die Erstuntersuchung und Triage erfolgt im Gegensatz zum französischen System durch einen Arzt. Erstdiagnostik und –therapie erfolgen komplett im Bereich der Notaufnahmestation- nur 48% der dort behandelten Patienten bedürfen anschließend einer stationären Aufnahme. Der Notaufnahme ist eine Akutbehandlungsstation mit angeschlossen Kurzzeit-Intensivbehandlungsplätzen. Nur 37% der dort behandelten Intensivpatienten bedürfen im Anschluss eines Intensivbettes –so können die Intensivstationen von kurzfristig zu überwachenden Patienten entlastet werden. Neben diesen Vorteilen des Wiener Konzeptes berichtete Laggner jedoch auch vom Missbrauchspotential der Notaufnahmestation: Mit 203 Patienten pro Tag bei steigender Tendenz mit Schwerpunkt am späten Nachmittag und Abend sowie an den Wochenenden nutzen viele leichterkrankte Patienten das Potential der Notaufnahmestation, weil hier die Wartezeiten deutlich kürzer sind als in den Regelambulanzen der übrigen klinischen Abteilungen bzw. der hausärztlichen Kollegen. Im Großstadtbereich beträgt der Anteil von Patienten aus unteren sozialen Schichten fast 2/3, der Ausländeranteil 50%. Analog zum französischen System wird darüber hinaus über innerklinische Schnittstellenprobleme berichtet – Patienten der Kurzzeitüberwachungsstation werden beispielsweise zum Teil erst nach 4-5 Tagen von den nachbehandelnden Kliniken übernommen. Die Notaufnahmestation wird so als innerklinische Pufferstation missbraucht. Auch wies Laggner darauf hin, dass in einem Land wie Österreich, in dem zentrale Notaufnahmestationen nur an einigen Kliniken etabliert sind und es keinen Facharzt für Notfallmedizin gibt, die Karrierechancen der ausgebildeten Notfallmediziner (Übernahme einer Chefarztposition) und damit zum Teil auch das Interesse des notfallmedizinischen Nachwuchses gering sind.
T. Rosolski(Wismar) stellte zum Abschluss des Themenblockes den Aufbau eines notfallmedizinischen Kompetenzzentrums mit zentraler interdisziplinärer Notaufnahme am Städtischen Krankenhaus Wismar vor. Voraussetzung für diese Entwicklung waren eine visionäre Krankenhausleitung, ein geplanter Krankenhausneubau, ein Generationswechsel bei den Chefärzten und die Einführung des DRG-Systems. Zum Kompetenzzentrum Notfallmedizin gehören, analog zum französischen System, Notarztdienst (2 Notarztwachen, eine davon aus einsatztaktischen Gründen auf der „grünen Wiese“ und von Ärzten außerhalb der zentralen Notaufnahme besetzt), zentrale Notaufnahme (11 Behandlungsplätze) und interdisziplinäre Wachstation (20 Überwachungsbetten, 8 Betten für „Kurzlieger“). Da ein Facharzt für Notfallmedizin in Deutschland nicht etabliert ist, rekrutiert sich das Personal des notfallmedizinischen Kompetenzzentrums aus der Inneren Medizin, Chirurgie und Anästhesie. Neben Dauerpositionen in der interdisziplinären Notaufnahme rotieren Weiterbildungsassistenten der genannten Fachrichtungen im Rahmen ihrer Ausbildung in den Dienst. Das Kompetenzzentrum ist eigenständige Krankenhausabteilung, der Leiter hat die Position eines Chefarztes.
Vorteile der interdisziplinären Notaufnahme sind:
- Einführung notfallmedizinischer Methoden in die Notaufnahme, Integration des Notarztdienstes in die zentrale Notaufnahme
- Kurze Zeiten bis zur Diagnosestellung, interdisziplinäre Funktionsdiagnostik
- Alle Patienten laufen über die Notaufnahme (Ausnahme: Schwangere, Kinder) mit einheitlicher Aufnahmedokumentation und klaren diagnostischen Pfaden
- Kostenreduktion durch Reduktion von unnötiger Diagnostik oder „Fehlläufern“ bei den Behandlungspfaden sowie Reduktion unnötiger Krankenhausaufenthalte durch angeschlossene Kurzüberwachungsstation
T. Rosolski wies jedoch auch auf die Grenzen eines notfallmedizinischen Kompetenzzentrums hin. So kann die Integration des Notarztdienstes in das Zentrum nicht immer umgesetzt werden, weil unter dem Gesichtspunkt der Einhaltung der präklinischen Hilfsfrist die räumliche Verteilung der Notarztstandorte nicht mit der räumlichen Verteilung der Kliniken übereinstimmt. Des Weiteren stößt die Interdisziplinarität der ärztlichen Mitarbeiter der interdisziplinären Notaufnahme an ihre Grenzen –hier wäre insbesondere eine Ergänzung der Weiterbildungsordnung der Fächer Innere Medizin, Chirurgie und Anästhesie um einen interdisziplinären notfallmedizinischen Part wünschenswert. Und letztlich erschweren fachspezifische DRGs die Abrechnung der Leistungen einer interdisziplinären Notaufnahme. In Wismar hat man letzteres dadurch gelöst, dass die Patienten der Interdisziplinären Notaufnahme der Intensivstation zugeordnet werden, womit die Abrechnung aller erbrachten Leistungen möglich wird.
Th. Schlechtriemen(Saarbrücken) fasste die Vorträge des ersten Symposiumstages sowie die Diskussion in seinem Eingangsvortrag zum zweiten Symposiumstag zusammen.
30-50% aller stationären Aufnahmen rekrutieren sich über die Notaufnahme (Hennes, Laggner). Die Notaufnahme ist Aushängeschild der Klinik im Konkurrenzkampf um Patienten und steht damit im Zentrum einer klinischen Marketingstrategie (Moecke). Eine Zügige Patientenversorgung nutzt der Ertragslage der Klinik –insbesondere auch eine zügige Entlassung von Patienten, die keiner stationären Versorgung bedürfen und für die auch keine Leistungen liquidiert werden können (Dirks). Zusammenfassend kann man sagen, dass die aufgezeigten betriebswirtschaftlichen Zwänge die interdisziplinäre Notaufnahme an vielen Kliniken durchsetzen werden.
Dabei wird sich kein Einheitskonzept für jedes Krankenhaus umsetzen lassen (Moecke). Die Schwierigkeiten der Umsetzung baulich-organisatorischer Konzepte in einer bestehenden Bausubstanz sind immens und selbst bei Neubauten ist die Integration einer interdisziplinären Notaufnahme nicht einfach (Hennes, Laggner, Sefrin). Letztendlich sind diese Probleme jedoch vordringlich im Bereich der Krankenhausorganisation zu lösen und sollten in einem Symposium, dass sich mit der Bedeutung der Interdisziplinären Notaufnahme für die Notfallmedizin beschäftigt eher zurückgestellt werden. Hierzu sei auf die Ergebnisse des 1. Deutschen Symposiums „Zentrale Notaufnahme“ in Hamburg am 01.Dezember 2004 (www.bag-zna.de) verwiesen.
Entsprechend dem Thema der Leinsweiler Gespräche 2005 „Interdisziplinäre Notaufnahme im Zentrum zukünftiger Notfallmedizin“ sind insbesondere folgende Fragen von Interesse:
- Erzwingt das Selbstverständnis der Notfallmedizin nicht den Aufbau Interdisziplinärer Notaufnahmen ?
- Wie kann in einem solchen System die notärztliche Versorgung insbesondere auch flächendeckend gesichert werden?
- Welches Aufgabenspektrum sollte mit einer Interdisziplinären Notaufnahme abgedeckt werden?
- Brauchen wir den Facharzt für Notfallmedizin?
Selbstverständnis der Notfallmedizin
Notfallmedizin ist präklinische und innerklinische Aufgabe. Der Zeitfaktor hat in der notfallmedizinischen Versorgung schwerwiegender Krankheitsbilder sowohl im chirurgischen (Polytrauma) als auch internistisch-neurologischen Bereich (Myokard
infarkt, Schlaganfall) eine immer stärker werdende Bedeutung. Präklinisch gewonnene Zeit darf daher nicht innerklinisch verloren gehen weil die Notaufnahme als Schnittstelle zwischen Präklinik und Klinik durch fachspezifische Egoismen in der Patientendiagnostik Zeit verliert. Dies erzwingt eine Koordination der interdisziplinären Diagnostik mit dem Ziel einer Diagnosefindung möglichst innerhalb von 60 Minuten und damit eine Interdisziplinäre Notaufnahme.
Auch die Kontinuität notfallmedizinischer Versorgungsstrategien mit Konzentration auf die Sicherung der Vitalfunktionen unter Zurückstellung fachspezifischer Behandlungskonzepte innerhalb der klinischen Erstversorgung ist notfallmedizinisches Anliegen. Gerade diese notfallmedizinischen Versorgungsprioritäten werden im Konzept der Interdisziplinären Notaufnahme umgesetzt –die Übergabe des Patienten an die Fachdisziplin erfolgt erst nach Diagnosefindung und mit konkretem Therapieauftrag. Optimalerweise sollte die notfallmedizinische Verantwortung –wie im französischen System umgesetzt- vom Eingang der Notfallmeldung in der Rettungsleitstelle bis zur Übergabe an die weiterversorgende Fachklinik reichen.
Beitrag zur Sicherung der notärztlichen Versorgung
Durch Integration des Notarztdienstes in die interdisziplinäre Notaufnahme lassen sich personelle Ressourcen besser nutzen. Die Integration der Notärzte in die Interdisziplinäre Notaufnahme sichert zudem einen hohen Ausbildungs- und Trainingsstand. Hierbei darf die Notarztgestellung aus der Interdisziplinären Notaufnahme heraus kein Dogma sein. Je nach örtlichen Gegebenheiten mag zur Einhaltung der Hilfsfrist ein Notarztstandort „auf der grünen Wiese“ oder an kleineren Krankenhäusern notwendig sein, der unter Umständen durch Ärzte aus dem Team der Interdisziplinären Notaufnahme größerer Kliniken personell verstärkt wird (Bildung notfallmedizinischer Kompetenzzentren).
Aufgabenspektrum der Interdisziplinären Notaufnahme
Aufgrund der Erfahrungen aus den vorgestellten Systemen war sich die Diskussionsrunde einig darüber, dass die Interdisziplinäre Notaufnahme als eigenständiger Bereich (insbesondere mit eigenständiger Leitung) in der Klinik geführt werden sollte und alle Notaufnahmen (ggfls. ausgenommen die Bereiche Pädiatrie und Geburtshilfe) über diese Station abzuwickeln sind. Eine Interdisziplinäre Wachstation ermöglicht eine kurzzeitige Intensivüberwachung und -behandlung, dient als Pufferstation für periphere Stationen und ermöglicht eine Kurzüberwachung ambulanter Patienten, was die Zahl der stationären Aufnahmen reduzieren wird. Eine Einbindung des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes in das System –etwa durch Etablierung einer Notfallpraxis an die Interdisziplinäre Notaufnahme- inklusive gemeinsamer präklinischer Versorgung geleitet von Integrierten Leitstellen, wurde von vielen in der Diskussionsrunde favorisiert. Laggner berichtete jedoch von seinen Erfahrungen in Wien: Patienten wählen nach Zeitfaktor ihren Ansprechpartner –müssen sie vor der kassenärztlichen Notfallpraxis zu lange warten, stellen sie sich in der Interdisziplinären Notaufnahme vor. Hier wäre das französische System mit einer „Sichtung“ aller Patienten am Beginn der Notfallversorgung und Festlegung der Versorgungspriorität eine sinnvolle Alternative. Enders sprach die Problematik der flächendeckenden Umsetzung eines Konzeptes mit Interdisziplinären Notaufnahmen an. In größeren Kliniken sei ihre Einführung –wie etwa in Koblenz am Bundeswehrzentralkrankenhaus bereits geschehen- Pflicht. In kleineren Häusern könnte analog ein „Notfallzimmer“ zentrale Anlaufstelle für die notfallmedizinische klinische Erstversorgung sein.
Facharzt für Notfallmedizin (EP)
Die immer stärker werdende Spezifizierung in der Medizin ist gerade in der Notfallmedizin kontraproduktiv. Lackner brachte diese Problematik auf den Punkt und formulierte, dass Macht und Geld in der Medizin durch Diagnosen abgegrenzt werden –aber im Notfall ist die Diagnose noch gar nicht absehbar. Soll die Diagnosefindung nicht zu einem zeitaufwendigen Spießrutenlaufen des Patienten durch verschiedenste Abteilungen werden, benötigen wir dringend einen medizinischen „Generalisten“ am Anfang der klinischen Notfallversorgung. Bisher ist der Notarzt der einzige Generalist in der (prä-)klinischen Notfallversorgung und wir haben in Deutschland das System eines „vorgezogenen Notfalldepartments“ –jedoch mit unsicherer Anbindung an die klinische Notfallversorgung. Der notfallmedizinische Generalist kann nach Auffassung der Diskussionsteilnehmer nicht der Facharzt für Allgemeinmedizin sein, da dessen Aufgabengebiet eher der ambulanten Patientenversorgung zugeordnet ist und keine klinische Anbindung enthält. Arntz sprach sich vehement für die Einführung eines Facharztes für Notfallmedizin (EP, emergency physician) analog zum angloamerikanischen oder französischen Vorbild aus. Moecke erwiderte, dass auf dem Weg „vom Symptom zur Diagnose“ Ärzte verschiedener Fachrichtungen, vornehmlich aus dem Bereich ACI (Anästhesie, Chirurgie, Innere) eingesetzt werden könnten. Hierzu sollte die Weiterbildungsordnung dieser Fächer um Pflichtzeiten in der Interdisziplinären Notaufnahme (z.B. 1 Jahr) ergänzt werden. Auch sollte man über die Einführung einer „Speziellen Weiterbildung Interdisziplinäre Notaufnahme“ nachdenken analog der „Speziellen Weiterbildung Intensivmedizin“. Dies könnte mittelfristig zur Etablierung eines Facharztes für Notfallmedizin führen. Diesen Weg ist man auch in den U.S.A. gegangen.
Arntz wies in der Diskussion darauf hin, dass Fachärzte mit Subspezialisierung oder Kollegen auf dem Weg dorthin in aller Regel kein Interesse an einer Generalistentätigkeit haben, da dies einen Zeitverzug für die persönliche Karriere darstellt. Auch die heute üblichen Ein- oder Zweijahresverträge zwingen zum zügigen Abschluß der Facharztausbildung. Hahn erwiderte aus den Erfahrungen in den Vereinigten Staaten, dass gerade der eigene Facharzt (EP) Karrierechancen eröffne und damit Interesse an der klinischen Notfallmedizin wecke.
Die Interdisziplinäre Notaufnahme – aus Sicht der Partner im Rettungsdienst
Betrachtet man die Thematik Interdisziplinäre Notaufnahme aus notfallmedizinischer Sicht, so darf die Diskussion mit den rettungsdienstlichen Partner nicht fehlen. Daher stellten in einem dritten Themenblock unter Vorsitz von Chr.- K. Lackner (München) und B. Dirks (Ulm) Vertreter der für den Rettungsdienst zuständigen Länderministerien, der Rettungszweckverbände und der Hilfsorganisationen ihre Sichtweise dar.
H.-J. Gundlach (Mainz)wies zunächst darauf hin, dass in neun Bundesländern die Verantwortung für den Rettungsdienst (Innenressort) und die Zuständigkeit für den Krankenhausbereich (Gesundheitsressort) in getrennten Ministerien angesiedelt ist, während in sieben Bundesländern die Verantwortlichkeit für beide Bereiche im Gesundheitsministerium liegt. Gegebenenfalls sind damit zwei Ressorts in die Diskussion um die Interdisziplinäre Notaufnahme mit einzubeziehen. Für sein eigenes Bundesland Rheinland-Pfalz stellte er fest, dass beide Ministerien der Einrichtung Interdisziplinärer Notaufnahmen positiv gegenüber stehen und beispielhaft die Einrichtung entsprechender Stationen am Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz und am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Trier unterstützt haben. Prinzipiell liegt es jedoch in der Entscheidungshoheit der Kliniken, ob sie Interdisziplinäre Notaufnahmen einrichten wollen.
Angesichts der umfangreichen Bemühungen der für den Rettungsdienst zuständigen Ministerien, die organisatorischen Voraussetzungen für eine schnellstmögliche und zeitkritische Patientenversorgung zu sichern, ist den entsprechenden Ressorts die Problematik des „Flaschenhalses“ der klinischen Aufnahme bewusst. Die Einrichtung von Interdisziplinären Notaufnahmen wird daher explizit als Verbesserung wahrgenommen. Zur Optimierung der Schnittstelle Rettungsdienst – Klinik sollte das Konzept der klinischen Erstversorgung mit dem Ärztlichen Leiter Rettungsdienst seitens der Kliniken abgestimmt werden. Auch erhofft man sich aus Sicht der zuständigen Ministerien, dass eine Interdisziplinäre Notaufnahme zur Lösung des Problems „Notfalltourismus“ beiträgt. In einer Interdisziplinären Notaufnahme, die den Notarztdienst integriert, sollte die Sensibilität für das Bemühen des Rettungsdienstes um zeitkritische Erstversorgung und schnellstmögliche Zuweisung in die nächstgelegene geeignete Zielklinik verschärft sein und eine Abweisung eines Notfallpatienten der Vergangenheit angehören. Gerade auch mit diesem Hintergrund steht das für den Rettungsdienst in Rheinland-Pfalz zuständige Innenministerium einer Integration des Rettungsdienstes in das Konzept einer Interdisziplinären Notaufnahme offen gegenüber und mahnt an, dass dies auch für den Bereich der Aus- und Fortbildung des Personals gelten muss.
K.-H. Schindler (Bexbach)fokussierte in seinem Vortrag zur Interdisziplinären Notaufnahme aus der Sicht eines Rettungszweckverbandes auf die Fragestellung, ob ein Personalverbund mit der Interdisziplinären Notaufnahme zu einer Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit im Rettungsdienst beitragen könnte.
Im Saarland ist der Notarztdienst als Teil der Notfallrettung öffentliche Aufgabe und der Rettungszweckverband stellt durch Verträge mit Krankenhäusern die Verfügbarkeit von Ärztinnen und Ärzten sicher. Bisher werden für 14 Notarztstationen 2,5 Millionen € pro Jahr, damit 178.500 € je Notarztsystem und Jahr an Personalkosten zur Verfügung gestellt. Damit erfolgt eine Finanzierung des Notarztdienstes am unteren Level. Würde im Sinne eines Personalverbundes Notarzt und Rettungsassistent aus dem Personalstamm einer Interdisziplinären Notaufnahme gestellt, so wären etwa 330.000 € pro Jahr und Notarztstandort zu finanzieren. Angesichts des Kostendruckes im Gesundheitssystem ist eine derartige Kostensteigerung nicht durchsetzbar – sie müsste durch Reduktion der Notarztstandorte aufgefangen werden. Denkbar wäre –bezogen auf das Saarland- eine Reduktion der Notarztstandorte von 14 auf 10 Standorte. Die verminderte notärztliche Präsenz in der Fläche würde durch Optimierung der Professionalität des eingesetzten Personals sowie die oben skizzierten Vorteile einer optimalen Verbindung von präklinischer und innerklinischer Notfallversorgung ausgeglichen.
Für die flächendeckende Verteilung von Notarztstandorten sind die Krankenhäuser in einigen Regionen des Saarlandes –und dies dürfte vergleichbar auch für die übrigen Bundesländer gelten- schlecht disloziert. Dieses Problem könnte dadurch gelöst werden, dass die Interdisziplinären Notaufnahmen größerer Kliniken als notfallmedizinische Kompetenzzentren mehrere Notarztstandorte durch ihr Personal betreuen und so die erforderliche Professionalität der eingesetzten Mitarbeiter sichern.
Für den Bereich der Rettungsassistenten ist die Personalhoheit der beauftragten Rettungsdienstorganisationen –in der Regel Berufsfeuerwehren und Hilfsorganisationen- zu beachten. Alternativ wäre der Einsatz von Mitarbeitern mit Doppelqualifikation (Krankenschwester/ -pfleger und Rettungsassistent) unter Personalhoheit der entsendenden Kliniken zu erwägen.
Dieser Aspekt leitete über zum Vortrag von K. Runggaldier (Köln), der aus der Sicht der Malteser als einer der bundesweit tätigen Hilfsorganisationen zur Interdisziplinären Notaufnahme Stellung nahm.
Das Rettungsdienstfachpersonal hat zur Zeit eine 2-jährige Ausbildung mit Schwerpunkt in der Akutversorgung lebensbedrohlicher Krankheitsbilder (z.B. Basic Cardiac Life SupportÓ, Advanced Cardiac Life SupportÓ, Advanced Trauma Life SupportÓ). Es ist gewohnt „anzufassen“ und Verantwortung zu übernehmen. Zukünftig könnte eine Erweiterung auf eine 3-jährige Ausbildung im Rahmen einer geplanten Novellierung des Rettungsassistentengesetzes den Ausbildungsstand noch vertiefen. Zur Zeit ist jedoch die Ausbildung eines Rettungsassistenten mit der des Krankenpflegepersonals in Dauer und Inhalt nicht vergleichbar, zumal viele Rettungsassistenten ihr Berufsqualifikation im Rahmen von Übergangsregelungen mit verkürzten Ausbildungszeiten erhalten haben. Umgekehrt kann aus juristischen wie fachlichen Gründen Krankenpflegepersonal nicht ohne Zusatzqualifikation im Rettungsdienst eingesetzt werden. Für eine absehbare Zeit wäre eine Doppelqualifikation Rettungsassistent – Krankenpfleger /-schwester für das Modell einer Gestellung von Rettungsdienstfachpersonal aus dem Personalpool der Interdisziplinären Notaufnahme sicherlich die sinnvollere wenn auch zunächst teurere Alternative, die durch die gewonnene Multifuktionalität aber wieder ausgeglichen werden könnte.
Wie für den ärztlichen Bereich bereits diskutiert werden Krankenhäuser mit Interdisziplinärer Notaufnahme heute wie zukünftig nicht flächendeckend disloziert sein. Daher kann höchstens über die Anbindung der NEF-Besatzung an die Interdisziplinäre Notaufnahme diskutiert werden. Die Verteilung der Rettungswachen muss sich zur Einhaltung der gesetzlich festgeschriebene Hilfsfrist in der präklinischen Patientenversorgung an einer optimalen Flächenabdeckung ausrichten und kann sich nicht an den Krankenhausstandorten orientieren. Daher liegen zurzeit bundesweit nur 15% der Rettungswachen an Krankenhäusern.
Im innerstädtischen Bereich größerer Städte sind die Notarztsysteme in der Hauptarbeitszeit zum Teil bis zu 80% ausgelastet. Gerade hier wo größere Kliniken liegen und der Aufbau Interdisziplinärer Notaufnahmen sich anbietet, wäre der Effekt einer verbesserten Nutzung personeller Ressourcen durch Besetzung der Notarztsysteme aus dem Personalpool der Interdisziplinären Notaufnahme am geringsten.
Bei der Abstellung von Rettungsdienstfachpersonal in die Interdisziplinäre Notaufnahme kann es arbeitsrechtliche Probleme geben –ebenso bei der Entsendung von Klinikpersonal in den Rettungsdienst. Zudem lässt sich das hohe ehrenamtliche Engagement im Rettungsdienst (bis zu 40% aller Einsatzstunden) nur sehr eingeschränkt auf die Mitarbeit in einer Interdisziplinären Notaufnahme übertragen.
Allerdings beinhaltet die Integration des Rettungsdienstfachpersonals –konkret der NEF-Besatzung- in das Team der Interdisziplinären Notaufnahme aus Sicht der Hilfsorganisationen auch Chancen. Ein solches Modell wäre ein „ganzheitliches System aus einer Hand“, böte dem Rettungsdienstfachpersonal eine berufliche Perspektive, würde die fachliche Fortbildung optimieren und trüge zu einer effektiveren Teambildung zwischen Notarzt und Rettungsassistent bei, denn die NEF-Besatzung würde nicht nur für die kurze Zeit des präklinischen Einsatzes sondern über einen gesamten Arbeitstag zusammenarbeiten.
K. Runggaldier schloss seinen Vortrag mit der Frage, ob man sich dann nicht auch vorstellen könnte, dass der Rettungsdienst insgesamt durch die Krankenhäuser organisiert würde oder vielleicht gar umgekehrt die Integrierte Notaufnahme Teil des Rettungsdienst würde.
Zusammenfassung
1. Die personelle Umsetzung des Konzeptes der Interdisziplinären Notaufnahme erfordert im 24 Stunden Betrieb eine dauerhafte organisatorische Leitungsstruktur mit festem ärztlichen und pflegerischen Personalstamm aus dem Bereich Anästhesie, Chirurgie und Innere Medizin sowie ggfls. der Neurologie. Dieser feste Personalstamm sollte durch Rotationsstellen ergänzt werden.
2. Von der Integration von Weiterbildungsabschnitten in der Interdisziplinären Notaufnahme in den Weiterbildungskatalog der Fächer Anästhesie, Chirurgie und Innere Medizin über die Einführung einer „Speziellen Weiterbildung Interdisziplinäre Notaufnahme“ könnte sich das Fach Notfallmedizin bis hin zur Etablierung einer eigenen Facharztqualifikation entwickeln.
3. Optimalerweise sollte sowohl das notärztliche Personal als auch Teile des Rettungsdienstpersonals von der Interdisziplinären Notaufnahme gestellt werden. Durch Aufbau notfallmedizinischer Kompetenzzentren, aus deren Interdisziplinären Notaufnahmen das Personal für mehrere Notarzt-standorte gestellt wird, kann eine flächendeckende notfallmedizinische Versorgung auch bei schlecht platzierten Klinikstandorten gewährleistet werden.
4. Mindestvoraussetzung an die baulichen Strukturen sind eine zentrale Anordnung der Interdisziplinären Notaufnahme mit Minimierung der Patientenwege zu den notwendigen Diagnostikeinrichtungen und damit kurzen Transportzeiten für vitalbedrohte Patienten sowie eine gute ebenerdige externe Erschließung sowohl für den Rettungsdienst als auch für Notfallpatienten, die sich selbst einweisen. Eine räumliche Trennung in Ambulanzbereich, Schockraum und Notfallstation mit getrennter Zugänglichkeit (Trennung der Patientenpfade von vitalgefährdeten und nicht lebensbedrohlich beeinträchtigten Patienten) ist anzustreben.
5. Aufgabeeiner Interdisziplinären Notaufnahme ist die Versorgung von Patienten aus allen Disziplinen mit frühestmöglicher Trennung zeitkritischer von nicht zeitkritischen Abläufen. Die Übergabe aus der Interdisziplinären Notaufnahme an die weiterbehandelnde klinische Spezialdisziplin sollte im Regelfall erst nach Beseitigung der Vitalgefährdung und nach Feststellung der Notwendigkeit einer stationären Patientenversorgung erfolgen. In größeren Kliniken sollte diese Abklärung auf einer, der Interdisziplinären Notaufnahme angeschlossenen Überwachungsstation erfolgen.
6. Von den dargestellten Beispielen kommt das französische System der Akutversorgung dem skizzierten Optimalkonzept am nächsten.
Notfallmedizin ohne direkte Anbindung an die Klinik ist über kurz oder lang ein totgeborenes Kind. Notfallmedizin ist Teil der Intensivmedizin. Die Interdisziplinäre Notaufnahme stellt das ideale Bindeglied zwischen präklinischer und innerklinischer Notfallversorgung in einem Gesamtkonzept der Akutversorgung dar.
Tabelle 1: Teilnehmer der 10. Leinsweiler Gespräche
Prof. Dr. Dr. hc F.-W. Ahnefeld
Universität Ulm
Prof. Dr. K.-H. Altemeyer
Klinik für Anästhesiologie, Klinikum Saarbrücken
Prof. Dr. H. R. Arntz
II. Medizinische Klinik, Universitätsklinikum Benjamin Franklin, Berlin
Dr. O. Boekels
SAMU / SMUR / Urgences, HôpitalEmil Müller, Mulhouse
Prof. Dr. Dr. hc W.F. Dick.
Klinik für Anästhesiologie, Klinikum der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
Dr. Dr. B. Dirks
Sektion Notfallmedizin, Universitätsklinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Ulm
PD Dr. V. Dörges
Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Kiel
Prof. Dr. K. Ellinger
Klinik für Anästhesiologie, St. Elisabeth Krankenhaus, Ravensburg
Dr. P. Enders
Mitglied des Landtages von Rheinland-Pfalz, Facharzt für Anästhesiologie
Prof. Dr. M. Fischer
Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Klinik am Eichert Göppingen
PD Dr. A. Gries
Universitätsklinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg
OAR H.-J. Gundlach
Ministerium des Inneren und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz
Dr. S. Hahn
Department of Emergency Medicine, Mount Sinai Medical Center, New York
MinR a.D. Dr. P. Hennes
Herausgeber des Handbuches für das Rettungswesen
Dr. H.-J. Hennes
Ärztlicher Geschäftsführer, Kath. St.-Johannes-Gesellschaft Dortmund
PD Dr. H. Krieter
Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Mannheim
Prof. Dr. Chr.- K. Lackner
Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement, Klinikum der Universität München
Prof. Dr. A. N. Laggner
Universitätsklinik für Notfallmedizin, Allgemeines Krankenhaus Wien
Dr. M. Messelken
Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Klinik am Eichert Göppingen
Dr. Hp. Moecke
Ärztlicher Direktor, Klinikum Nord, LBK Hamburg GmbH und Leiter des Instituts für Notfallmedizin, LBK Hamburg GmbH
Dr. S. Otto
Klinik für Anästhesiologie, St. Elisabeth-Klinik Saarlouis
Prof. Dr. T. Rosolski
Klinik für Anästhesiologie, Städtisches Krankenhaus Wismar
Dr. W. Roth
Ärztekammer des Saarlandes; Chirurgische Klinik, St. Elisabeth Klinik Saarlouis
Dr. K. Runggaldier
Referat Rettungsdienst, Bundesgeschäftsstelle Malteser Hilfsdienst
Dr. M. Ruppert
Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement, Klinikum der Universität München
K.-H. Schindler
Rettungszweckverband Saar
Dr. Th. Schlechtriemen
Klinik für Anästhesiologie, Klinikum Saarbrücken
Prof. Dr. P. Sefrin
Sektion Notfallmedizin, Klinik für Anästhesiologie, Universität Würzburg
RefL‘in E. Slawski-Haun
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
Dr. D. Stratmann
Institut für Anästhesiologie, Klinikum Minden
ROR R. Thome
Ministerium für Inneres und Sport des Saarlandes
LMR G. Throm
Sozialministerium des Landes Baden-Württemberg
M. R. Ufer
Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Göttingen