Indikationskatalog für den Notarzteinsatz
Stellungnahme der BAND e.V. vom 3. Mai 2019 auf Anfrage des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer
Florian Reifferscheid
Der Indikationskatalog für den Notarzteinsatz dient als Handlungsempfehlung für Disponenten in Notdienstzentralen und Rettungsleitstellen. Er gründet auf Empfehlungen der BAND e.V. und besteht seit 2001 in den Grundzügen unverändert.
Anlässlich einer Überarbeitung durch die Bundesärztekammer im Jahr 2013 wurden gegenüber der Vorversion bei einzelnen Punkten redaktionelle Änderungen und/oder Präzisierungen der Terminologie vorgenommen. Am augenfälligsten war dabei die Ergänzung des Kriteriums „Schmerz“ (akute starke und/oder zunehmende Schmerzen) in der Tabelle der Indikationen unter Bezug auf den Patientenzustand.
In den letzten Jahren zeichnen sich im Rettungsdienst wesentliche strukturelle Veränderungen ab. Mit dem Notfallsanitätergesetz aus 2013 – in Kraft getreten genau drei Monate nach der Verabschiedung des überarbeiteten Indikationskataloges – wurde ein nicht-ärztlicher Ausbildungsberuf definiert, der das eigenständige Durchführen heilkundlicher Maßnahmen sowie das eigenverantwortliche Durchführen auch invasiver medizinischer Maßnahmen – jeweils unter bestimmten definierten Bedingungen – zum Ziel hat. Nachfolgend wurden im sogenannten „Pyramidenprozess“ unter Federführung des Bundesverbandes der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst für eine zunehmende Anzahl von Krankheitsbildern und Notfallsituationen Empfehlungen konsentiert, die sich mit der möglichen Übernahme von ärztlichen Maßnahmen im Rahmen der Berufsausübung durch nicht-ärztliches Rettungsdienstpersonal beschäftigen. Vor diesem Hintergrund wurden beispielsweise die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die medikamentöse – auch intravenöse – Behandlung akuter Schmerzen im Rettungsdienst (soeben erst explizit als Notarzt- Indikation in den Indikationskatalog aufgenommen) im Rahmen von nicht vital bedrohlichen Krankheitsbildern nicht mehr ausschließlich eine Notarztindikation darstellt.
Ebenfalls in den letzten Jahren gingen einzelne lokale Projekte zur telemedizinischen Unterstützung des Rettungsdienstes (sog. „Telenotarzt“) in den Regelbetrieb, verbunden mit der Möglichkeit, diagnostische Einschätzungen der nicht-ärztlichen Mitarbeiter im Rettungsdienst zu unterstützen und Maßnahmen am Einsatzort (z.B. intravenöse Verabreichung von Medikamenten) ohne persönliche Anwesenheit eines Notarztes zu delegieren. Mit einer Ausweitung dieser sog. „Telenotarzt“-Projekte ist in den nächsten Jahren zu rechnen.
Eine Schlüsselfunktion bei der Disposition eines Notarztes (oder auch bei der Zuordnung eines „Telenotarztes“) spielt die Leitstelle, die anhand der eingehenden Notrufe über die Entsendung geeigneter Rettungsmittel entscheiden muss. Es lässt sich zunehmend beobachten, dass die Leitstellen ihre Disposition nicht mehr (nur) anhand einzelner Stichworte, sondern im Verlauf einer strukturierten Notrufabfrage treffen. Die bisherige Liste von Indikationen unterstützt diese neuen Abläufe nur bedingt.
Sowohl die Erstfassung des Notarzt-Indikationskataloges aus 2001 als auch die überarbeitete Fassung aus 2013 werden den vielfältigen Veränderungen in der präklinischen Notfallmedizin nicht mehr gerecht. Die Indikationen zum Einsatz eines Notarztes unterliegen derzeit einem merklichen Wandel. Mit zunehmender Implementierung des Notfallsanitäters kann eine Fokussierung des ärztlichen Einsatzes vorgenommen werden. Gleichwohl bleibt auch in Zeiten telemedizinischer Unterstützung der Notarzt am Einsatzort für einen breiten Teil der Krankheitsbilder unverzichtbar. Bezogen auf die unmittelbare Patientenbehandlung beispielsweise zeigt sich in internationalen Rettungsdiensten, dass in bisherigen, reinen Paramedic-Systemen, zunehmend Ärzte mit speziellen Kompetenzen und Aufgaben eingesetzt werden, die nur sie auf fachärztlichem Niveau erbringen können. Dabei spielen jedoch nicht nur die Handlungskompetenz und Fertigkeiten des Notarztes eine Rolle, sondern in bedeutendem Ausmaß auch seine Übernahme von Verantwortung für den Notfallpatienten – sowohl als Weichensteller für die weitere klinische Behandlung als auch für Art und Umfang der Notfallbehandlung vor Ort.
Es bleibt eine zentrale Aufgabe aller am Rettungsdienst beteiligten, diese Veränderungen aufmerksam zu begleiten und ein Hilfeleistungssystem zu schaffen, welches medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen folgt sowie den Erwartungen der Bürger und den Anforderungen der Gesellschaft entspricht. Unseres Erachtens ist es Aufgabe der ärztlichen Selbstverwaltung im Interesse der uns anvertrauten Notfallpatienten mit der Aktualisierung eines Notarztindikationskatalogs die Leitplanken zu definieren. Diese sollten bundeseinheitlich vorgegeben und ggf. an die regionalen Gegebenheiten angepasst werden, um einen Flickenteppich durch differierende lokale Vorgaben zu vermeiden. Dabei sollte dieser Katalog streng nach dem ABCDE-Schema strukturiert und vorwiegend an Vitalfunktionen und Patientenzustand sowie lediglich wenigen, massiven Unfall- bzw. Verletzungsmechanismen oder akut lebensbedrohlichen Krankheitsbildern ausgerichtet werden.
In der Zusammenfassung plädieren wir dafür, den Notarztindikationskatalog als Handreichung für Politik, Ärztliche Leiter Rettungsdienst, Leitstellendisponenten und weitere Verantwortliche in Rettungsdienst und Notfallversorgung zu erhalten. Es genügt aber nicht, es bei einer erneuten punktuellen Überarbeitung des Notarztindikationskatalogs zu belassen. Wir schlagen vielmehr – im Einvernehmen mit dem Bundesverband der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst – die Einrichtung einer Arbeitsgruppe bei der Bundesärztekammer zur Ausarbeitung von Rahmenkonzepten für die zukünftige Einbindung von (not-) ärztlicher Kompetenz in den Rettungsdienst vor, welche dann auf Landesebene umgesetzt werden. In diese Arbeitsgruppe sollten die ärztlichen Akteure im Rettungswesen eingebunden werden.