Empfehlungen der Bundesärztekammer zum ,,Ärztlichen Leiter Rettungsdienst“
( aus: Hp. Moecke, D. Stratmann, NOTARZT 11 (1995) 99 )
Zentrale Aufgabe des Rettungsdienstes ist die qualifizierte notfallmedizinische Versorgung und Betreuung von erkrankten und verletzten Patienten während Notfallrettung und Krankentransport. Rettungsdienst ist deshalb in erster Linie eine medizinische Dienstleistung. Da die Medizin im Mittelpunkt des Rettungsdienstes steht, muss der Rettungsdienst unter ärztlicher Kontrolle durchgeführt werden, damit sichergestellt ist, dass die Qualität der Patientenversorgung den anerkannten Regeln der Medizin entspricht.
Die Notwendigkeit zur kontinuierlichen ärztlichen Einbindung in das Qualitätsmanagement des Rettungsdienstes ergibt sich u.a. aus den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches V zur Qualitätssicherung. Diese machen eine Kontrolle sowohl der medizinischen Effektivität als auch der ökonomischen Effizienz bei der Einsatzplanung und -abwicklung im Rettungsdienst unverzichtbar.
Darüber hinaus erfordern arzneimittelrechtliche Vorgaben (z.B. die Betäubungsmittelverschreibungsordnung) die Beauftragung eines verantwortlichen Arztes. Auch die Anwendung von Maßnahmen der „Notkompetenz“ durch nichtärztliches Rettungsdienstpersonal ist nach den Empfehlungen der Bundesärztekammer an eine ständige Überwachung durch einen dafür verantwortlichen und weisungsbefugten Arzt gebunden.
Bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe arbeitet der „Ärztliche Leiter Rettungsdienst“ kooperativ mit anderen im Rettungsdienst tätigen Ärzten sowie den nicht-ärztlichen Führungskräften des Rettungsdienstes zusammen.
Während die Durchführenden des Rettungsdienstes einen nicht-ärztlichen verantwortlichen Leiter des Rettungsdienstes etabliert haben, ist die ärztliche Kontrolle trotz des medizinischen Versorgungsauftrages, bis auf einige Rettungsdienstgesetze der neuen Bundesländer, nicht geregelt. Daraus resultieren erhebliche Defizite, die sich zwangsläufig nachteilig auf die Effizienz und Effektivität der Patientenversorgung im Rettungsdienst auswirken.
Zur Aufrechterhaltung seiner notfallmedizinischen Qualifikation muss der „Ärztliche Leiter Rettungsdienst“ in die klinische Tätigkeit einer am Notarztdienst beteiligten Abteilung eines Krankenhauses eingebunden sein.
Zur Abgrenzung der Aufgabe des Ärztlichen Leiters des Rettungsdienstes in solchen Bereichen, in denen angestellte Krankenhausärzte im Rahmen ihrer Dienstaufgabe als Notarzt im Rettungsdienst tätig werden, ist klarzustellen, dass der mit der Auswahl und Überwachung der Qualifikation dieser Ärzte beauftragte Arzt die Funktion des „Ärztlichen Leiters Notarztstandort“ erfüllt. Dies beinhaltet die Sach- und Fachaufsicht für diesen Notarztstandort (siehe Kapitel 3.5.1).
Die Bundesärztekammer fordert deshalb die Institutionalisierung des „Ärztlichen Leiter Rettungsdienst“ auf regionaler und überregionaler Ebene, der die medizinische Kontrolle über den Rettungsdienst wahrnimmt und für die Effektivität und Effizienz der präklinischen notfallmedizinischen Patientenversorgung und -betreuung verantwortlich ist.
Definition
Der „Ärztliche Leiter Rettungsdienst“ ist ein im Rettungsdienst tätiger Arzt, der auf regionaler bzw. überregionaler Ebene die medizinische Kontrolle über den Rettungsdienst wahrnimmt und für Effektivität und Effizienz der präklinischen notfallmedizinischen Patientenversorgung und -betreuung verantwortlich ist.
Aufgaben
Der „Ärztliche Leiter Rettungsdienst“ ist für das medizinische Qualitätsmanagement der Patientenversorgung und -betreuung im Rettungsdienst verantwortlich. Er legt die hierzu erforderlichen Grundsätze fest und wirkt daran mit, dass im Rettungsdienst die notwendigen Strukturen aufgebaut und die Prozessabläufe konstant sach-, zeit- und bedarfsgerecht erbracht werden.
Deshalb nimmt der „Ärztliche Leiter Rettungsdienst“ folgende Aufgaben wahr:
1. Einsatzplanung und –bewältigung
Mitwirkung
- bei der Erstellung von rettungsdienstlichen Bedarfsanalysen
- bei der Koordination der Aktivitäten der am Rettungsdienst beteiligten Organisationen
- bei der Konzeption der Fahrzeugstrategie
- in der Leitstelle bei besonderen Schadenslagen
Festlegung
- der medizinischen Behandlungsrichtlinien für das nichtärztliche Personal im Rettungsdienst
- der medizinisch-organisatorischen Versorgungsrichtlinien für arztbesetzte Rettungsmittel
- der pharmakologischen und medizinisch-technischen Ausrüstung und Ausstattung im Rettungsdienst
- von Strategien für die Bearbeitung von medizinischen Hilfeersuchen durch die Leitstelle
- von medizin-taktischen Konzepten für die Bewältigung von besonderen Schadenslagen
2. Qualitätssicherung
Festlegung
- der Dokumentationsinstrumente für den Rettungsdienst
- der Methodenauswahl für die Datenanalyse
- der medizinischen Bewertung der Datenanalyse und Berichtfertigung
Mitwirkung
- bei der Planentwicklung für evtl. notwendige Korrekturmaßnahmen
- bei der ldentifikation der zu untersuchenden Systemkomponenten
- bei der Beurteilung der Wirksamkeit durchgeführter Korrekturmaßnahmen
3. Aus- und Fortbildung
- Richtlinienkompetenz für die notfallmedizinischen Aus- und Fortbildungsinhalte für nichtärztliches Personal im Rettungsdienst (inkl. Leitstellenpersonal)
- Erarbeitung von Roh- und Feinzielen für die ärztlichen Unterrichtsthemen der Aus- und Fortbildung für nichtärztliches Personal im Rettungsdienst
- Auswahl und Einweisung von ärztlichen Referenten
- Mitwirkung bei ärztlichen Unterrichtsthemen in der Aus- und Fortbildung von nichtärztlichem Rettungsdienstpersonal
- Planung und Koordination der klinischen Aus- und Fortbildung von nichtärztlichem Rettungsdienstpersonal
- Mitwirkung bei der Planung und Koordination der ärztlichen notfallmedizinischen Fortbildung
4. Arbeitsmedizin und Hygiene
- Mitwirkung bei der Anwendung von Einsatztauglichkeitskriterien
- Mitwirkung bei der Auswahl geeigneter Schutzbekleidung
- Überwachung der Einhaltung von Hygienevorschriften
5. Gremienarbeit
Vertretung des Trägers des Rettungsdienstes in medizinischen Fragen in regionalen und überregionalen Gremien
6. Forschung
Initiierung, Durchführung und Mitwirkung bei notfallmedizinischen Forschungsprojekten
7. Stellung
Zur Durchführung seiner Aufgabe bedarf der „Ärztliche Leiter Rettungsdienst“ einer Stellung, die ihm die Kompetenz zur Durchführung seiner Aufgaben verleiht.
Der „Ärztliche Leiter Rettungsdienst“:
- wird von der für den Rettungsdienst zuständigen Behörde bestellt
- ist in allen medizinischen Belangen der Durchführung des Rettungsdienstes entscheidungs- und weisungsbefugt
- in medizinischen Fragen und Belangen gegenüber den durchführenden Organisationen und dem nichtärztlichen Personal und
- in medizinisch-organisatorischen Belangen gegenüber dem ärztlichen Personal im Rettungsdienst
- die den Rettungsdienst durchführenden Organisationen sind ihm gegenüber berichtspflichtig
- berät die zuständige Behörde in allen medizinischen Angelegenheiten des Rettungsdienstes
- ist in verantwortlicher Stellung eingebunden in eine am Notarztdienst beteiligte Abteilung eines Krankenhauses.
8. Organisationsmodelle
Aufgrund der regional unterschiedlichen Größe und Organisationsstrukturen des Rettungsdienstes können keine verbindlichen Empfehlungen für die Organisationsform zur Institutionalisierung des Ärztlichen Leiters Rettungsdienst gegeben werden. Grundsätzlich unverzichtbar ist die Verknüpfung von klinischer und rettungsdienstlicher Tätigkeit in verantwortlicher Stellung.
9. Qualifikation
Um die mit dem umfangreichen Aufgabenkatalog und der Bedeutung der Stellung des ,,Ärztlichen Leiters Rettungsdienst“ verbundenen hohen Anforderungen erfüllen zu können, ist eine besondere Qualifikation erforderlich, die sowohl medizinische als auch administrative Kenntnisse erfordert.
Die Qualifikation umfasst:
- eine abgeschlossene Weiterbildung in einem Gebiet mit Bezug zur Notfall- und Intensivmedizin
- den Fachkundenachweis „Rettungsdienst“ oder eine von der zuständigen Ärztekammer als vergleichbar anerkannte Qualifikation
- die Qualifikation als „Leitender Notarzt“ entsprechend den Empfehlungen der Bundesärztekammer
- eine langjährige und anhaltende Tätigkeit in der präklinischen und klinischen Notfallmedizin
- zu erwerbende Kenntnisse in der Systemanalyse, Konzeptentwicklung und Problemlösung im Rettungsdienst
- Detailkenntnisse der Infrastruktur des Rettungsdienstes und des Gesundheitswesens
- Teilnahme an einer speziellen Fortbildung zum „Ärztlichen Leiter Rettungsdienst“ entsprechend den Empfehlungen der Bundesärztekammer (siehe unten)
- kontinuierliche Fortbildung in den Fachfragen des Aufgabengebietes
Empfehlung der Bundesärztekammer zur Fortbildung zum „Ärztlichen Leiter Rettungsdienst“
Stoffkatalog
Um die vielfältigen Aufgaben, die mit der Funktion des „Ärztlichen Leiters Rettungsdienst“ verbunden sind, fachgerecht erfüllen zu können, ist die Teilnahme an einem mindestens 24 Stunden umfassenden speziellen Fortbildungsseminar erforderlich. Voraussetzung für die Teilnahme an diesem Seminar, in dem insbesondere Managementkompetenz und administrative Kenntnisse vermittelt werden sollen, sind die in den Empfehlungen zum „Ärztlichen Leiter“ genannten ersten 4 Qualifikationsmerkmale.
A) Organisation des Rettungsdienstes
- historische Entwicklung des Rettungsdienstes
- Rahmenbedingungen des Rettungsdienstes
- politische Rahmenbedingungen
- ökonomische Rahmenbedingungen
- medizinische Rahmenbedingungen
- Rechtsgrundlagen
- Rettungsdienstgesetze der Bundesländer
- Rettungsassistentengesetz
- Gesundheitsstrukturgesetz
- Arzneimittelrecht
- sonstige Rechtsvorschriften (z.B. Feuerschutzgesetz, Ordnungsrecht, Medizin-Geräte-Verordnung)
- Organisationsstrukturen des Rettungsdienstes
- Aufsichtbehörden für den Rettungsdienst
- regionale / überregionale rettungsdienstliche Gremien
- Finanzierung des Rettungsdienstes
B) Qualitätsmanagement und Verwaltungslehre
- allgemeine Verwaltungslehre
- Grundlagen des Qualitätsmanagements
- effizienzorientiertes Rettungsdienstmanagement
- Personalmanagement und -bedarfsplanung
- Kommunikationsstrategien
- Grundlagen der Öffentlichkeitsarbeit
C) Medizinische Belange des Rettungsdienstes
- Qualifikation und Stellung des Personals im Rettungsdienst
- Arbeitsmedizinische Grundlagen
- Hygiene und Arbeitsschutz
- Konzeption und Gestaltung von Fortbildungsmaßnahmen
- aktuelle Forschungsschwerpunkte in der präklinischen Notfallmedizin