Stellungnahme zum „Entwurf eines Gesetzes zur Reform der
Notfallversorgung“
Grundsätzlich begrüßen wir die mit dem Gesetzentwurf angestrebte sektorenübergreifende Verzahnung der Notfallversorgung, jedoch sehen wir aus rettungsdienstlicher Sicht Nachbesserungsbedarf.
Rettungsdienst als eigenständiger Leistungsbereich
Wir begrüßen den Vorschlag ausdrücklich, den Rettungsdienst als eigenständigen Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung anzuerkennen, entspricht er doch unserer bereits 1997 geäußerten Forderung. Diese Einordnung bildet den hohen Anspruch an die Qualität medizinischer Versorgung in der außerklinischen Notfallmedizin auch in der Sozialgesetzgebung ab und verlässt die überkommene Einordnung als reine Transportleistung. Sie schließt auch die Chancen zu Veränderungen ein, die sich aus der Einführung des neuen Berufsbildes Notfallsanitäter in der jüngsten Vergangenheit ergeben können.
Mit der Feststellung, dass der Rettungsdienst hoheitliche Aufgabe der Bundesländer ist unterstreicht der Gesetzgeber die Tatsache, dass in den Rettungsdienstgesetzen der Länder bereits eine hinreichend hohe Regelungsdichte vorhanden ist. Die geplante weitreichende Kompetenzübertragung an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) konterkariert jedoch ebendiese Regelungskompetenz der Länder. Bereits heute sind die Entscheidungen und Festlegungen über Art und Umfang notfallmedizinischer Maßnahmen durch die Fachexpertisen der Länder in Therapiealgorithmen in ausreichendem Umfang festgelegt. In der Besetzung des G-BA ist der Rettungsdienst als außerklinisch tätiger Bereich der Notfallversorgung bisher nicht abgebildet, er ist daher in der jetzigen Form für die vorgesehene Aufgabe in Bezug auf den Rettungsdienst ungeeignet. Entwicklung, Finanzierung, Qualitätsvorgaben und Harmonisierung der rettungsdienstlichen Struktur müssen ebenso weiterhin in der Verantwortung der Länder stehen, wie die verbundenen Themen der technischen Hilfeleistung und Brandbekämpfung, da es sich im Rahmen der Daseinsvorsorge und Gefahrenabwehr um übergreifende Ziele der Ministerien für Inneres und Gesundheit handelt.
Als hoheitliche Aufgabe und Teil der Daseinsvorsorge ist der Rettungsdienst bisher weitgehend nach dem Prinzip der Kostenerstattung finanziert, das entgegen der landläufigen Meinung auch Einsätze ohne Patiententransport beinhaltet und bereits heute meist mit den Kostenträgern verhandelt wird. Die duale Finanzierung, nach der ausschließlich Betriebskosten erstattet werden sollen, bietet Interpretationsspielraum und führt zu Unsicherheiten. Die beabsichtigte Abkehr von der regionalen zu einer zentralen Bedarfsplanung auf Landesebene ist ebenso wie die resultierende Planungsunsicherheit ist geeignet, erforderliche Anpassungen in Bezug auf die Rettungsmittelvorhaltung zu verzögern und damit ein zuverlässig verfügbares System zu schädigen. Offen bleibt, auf welcher Datenbasis das hier gewählte Vereinbarungsprinzip realisiert werden soll. Die explizite Ausnahme der Vorbereitungen von Großschadensereignissen und Katastrophen aus der Finanzierung rettungsdienstlicher als auch Krankenhausinfrastruktur ist in Anbetracht gestiegener Herausforderungen nicht akzeptabel.
Die BAND e.V. sieht aktuell keine Notwendigkeit der weitreichenden Kompetenzübertragung an den
G- BA. Sollte diese gesetzlich erforderlich sein, bedarf es zwingend der Integration von Vertretern der Notärzte und Rettungsdienstträger in die entscheidenden Gremien des G-BA.
- Beibehaltung des Kostenerstattungsprinzips für die rettungsdienstlichen Aufgaben und keine duale Finanzierung.
- Beibehaltung der Bedarfsplanung für die Rettungsmittelvorhaltung auf der Ebene der Gebietskörperschaften.
Gemeinsames Notfallleitsystem (GNL)
Die Notrufnummer 112 ist in Deutschland fest etabliert und 24/7 an allen Orten immer und praktisch umgehend erreichbar. Der Notruf läuft in der Regel in integrierten Rettungsleitstellen auf, die neben dem Rettungsdienst auch gleichzeitig die Gefahrenabwehr im Brand- und Katastrophenschutz koordinieren. Sie integrieren zunehmend heterogene Möglichkeiten der Notfallmeldungen über Brandmeldeanlagen, e-Call, Hausnotruf oder internetbasierte Notrufsysteme und greifen auf die medizinischen Notfallressourcen von Krankentransport bis zur Notfallrettung mit und ohne Notarzt, bodengebunden und luftgestützt, zurück. Sie disponieren zunehmend auch abgestufte Systeme von psychosozialen Notdiensten, Gemeindenotfallsanitätern oder telemedizinischen Unterstützungssystemen und andere. Daneben disponieren sie vielfach auch die Gefahrenabwehr durch technische Rettung oder Brandbekämpfung und sind so auch in die übergeordnete Gefahrenabwehr im Katastrophenschutz eingebunden. Alle politisch diskutierten Eingriffe in die Leitstellen müssen diese vielfältigen Aspekte auch außerhalb der medizinischen Notfallversorgung berücksichtigen.
Demgegenüber ist die Rufnummer für den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst 116 117 bisher noch nicht in ausreichendem Maße etabliert. Komplizierend kommt hinzu, dass in der politischen Diskussion neben der Notfallversorgung auch die Aufgabe der Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigung bewältigt werden muss. Aus unserer Sicht ist eine verbindliche Kooperation der Rettungsleitstellen und des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes unter Beibehalten der 112 und 116117 und ohne zwingende räumliche Zusammenführung, aber in einer intelligenten digitalen Vernetzung, die zielführende Lösung. Sie darf nicht zulasten der Reaktionszeiten und Expertise in der Notfallrettung und der Gefahrenabwehr erfolgen.
Voraussetzung ist die Einführung eines evaluierten standardisierten Abfragesystems, mit dem Patienten der Notfallrettung und Kassenärztliche Notfallversorgung gleichermaßen sicher und in kürzester Zeit identifiziert und dem richtigen Versorgungsbereich zugeführt werden können. Nur so kann der Rettungsdienst die gewohnten raschen Dispositionszeiten einhalten, um die unmittelbare Lebensgefahr für die Patienten erfolgreich abwenden zu können. Das bisher favorisierte Abfrageschema nach SmED ist lediglich für die standardisierte Abfrage von Patienten geeignet, die ohne eine notfallmedizinische Direktintervention durch den Rettungsdienst beraten werden sollen. Für Akutinterventionen mit rettungsdienstlicher Dringlichkeit ist dieses Abfragesystem ungeeignet.
Eine derart umfangreiche Umstrukturierung zur Aufgabenerfüllung ist auch mit der in Aussicht gestellten bundesweiten Finanzierung von 25 Millionen Euro für die Etablierung eines solchen komplexen GNL nicht realistisch erreichbar.
Es bedarf einer verbindlichen Kooperation der Rettungs‐ oder Integrierten Leitstellen und des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes unter Beibehalten der 112 und 116117.
Durch einen geeigneten, standardisierten Abfrageprozess bei der Notrufannahme beider Rufnummern muss sichergestellt werden, dass der Notruf dem jeweils geeigneten Notfallversorgungssystem zugeordnet wird. Hinweise auf eine akute vitale Bedrohung des Patienten müssen strukturiert so früh erkannt und bearbeitet werden, dass sich die rettungsdienstlich erforderlichen Dispositionszeiten gegenüber dem heutigen Stand nicht verschlechtern.
Dabei muss gewährleistet sein, dass zeitkritische Notfälle intern umgehend bearbeitet und zeitunkritische Notfälle standardisiert an den ambulanten Akutbereich (kassenärztlicher Bereitschaftsdienst, Gemeindenotfallsanitäter) weitergelenkt werden. Voraussetzung ist eine intelligente digitale Vernetzung und medienbruchfreie Weitergabe des Notrufs.
Ein wissenschaftlich evaluiertes System zur standardisierten strukturierten Notrufabfrage bei Hilfeersuchen und Disposition mit intelligenten selbstlernenden Systemen (mit KI‐Kompetenz) ist zu implementieren und kontinuierlich zu evaluieren und zu verbessern.
Integrierte Notfallzentren (INZ)
Die BAND e.V. begrüßt die Initiative des Gesetzgebers, Maßnahmen zur Entlastung überfüllter Notaufnahmen einzuleiten, damit Notfallpatienten aus dem Rettungsdienst hier zeitgerechter und mit hoher fachlicher Expertise behandelt werden können.
Für den Rettungsdienst ist aber jede Regelung abzulehnen, die eine Verzögerung der Annahme von Notfallpatienten durch zusätzliche Triagierungssysteme vorschreibt. Unstrittig gibt es derzeit kein evaluiertes System zur sicheren Zuweisungsunterscheidung in den ambulanten oder stationären Versorgungsbereich. Auch gibt es künftig weiterhin eine Vielzahl von Fällen, die nach der notwendigen Akutversorgung mit den Ressourcen einer Notaufnahme in die ambulante Weiterversorgung entlassen werden können und sollen, die aber gleichzeitig in einer ambulanten Versorgungsstruktur so nicht fach- und zeitgerecht versorgt werden können. Die Beispiele dazu sind alltäglich in großer Zahl sichtbar.
Im Gesetzentwurf wird vorgeschlagen, INZ nur an ausgewählten Kliniken zu installieren. Andere Kliniken sollen bei Leistungserbringung mit einem Abschlag von 50% belegt werden. In der Folge ist eine Reduktion von leistungsfähigen Notaufnahme-Standorten zu befürchten, die vorhersehbar zu einer deutlichen Mehrbelastung des Rettungsdienstes führen wird. Die Zunahme der Fahrzeiten und damit derBindungszeiten von Rettungsmitteln bei weiterer Zentralisierung der Notfallversorgung auf wenige Kliniken schwächen die gesamte Struktur und die Leistungsfähigkeit des Rettungsdienstes im außerklinischen Bereich und gefährden bei kritisch erkrankten oder verletzten Patienten auch das Ergebnis. Nach den Qualitätsvorgaben gibt es für zentrale Krankheitsbilder (z.B.: Herzinfarkt, Schlaganfall, Polytrauma, Schädel- Hirn-Trauma, Sepsis) einzuhaltende Zeiten bis zur definitiven Versorgung in der Klinik. Bei all diesen Notfalldiagnosen steigt die Sterblichkeit in der Frühphase mit Verlängerung der Zeit bis zur definitiven Versorgung in der Klinik1). Damit die Luftrettung hier ggf. einen Beitrag zur Verkürzung der Prähospitalzeiten leisten kann, muss die hierfür gesetzlich geforderte Infrastruktur bei der Planung berücksichtigt werden. Weiterhin ist ein steigender Bedarf an Interhospitaltransporten zu erwarten.
Die Leistungsfähigkeit der Kassenärztlichen Vereinigungen hinsichtlich der Leitungsfunktion aber vor allem der 24/7-Besetzung dieser INZ erscheint, insbesondere vor dem Hintergrund der schon jetzt an einigen Standorten reduzierten Verfügbarkeit fragwürdig.
Ein geeignetes und wissenschaftlich evaluiertes Instrument zur Vorhersage der Behandlungsart stationär/ambulant gibt es derzeit nicht. Das von der KV favorisierte Abfragesystem SmED ist zur sicheren Entscheidung bei Notfallpatienten ungeeignet und nicht validiert.
Notfallpatienten aus dem Rettungsdienst sollen auch künftig ohne weitere Hemmnisse in Kliniken aufgenommen werden.
Die BAND e.V. lehnt, die Vorschläge zur Reduktion der Notaufnahmen ohne alternative Versorgungsmöglichkeiten, die über die Möglichkeiten einer Bereitschaftsdienstpraxis hinausgehen, ab, da sie erkennbar das Ergebnis für wesentliche Notfallbilder verschlechtern können. Sie führen zu längeren Transport- und damit Bindungszeiten und einer Schwächung der Leistungsfähigkeit des Rettungsdienstes. Dies gilt insbesondere in ländlichen Regionen. Um diesen Auswirkungen begegnen zu können, müssen ganzheitliche Betrachtungen des Rettungsdienstes – bodengebunden und luftgestützt – hinsichtlich der Prähospitalzeiten vorgenommen und Vorhaltung und Dispositionsstrategien im Sinne einer „next-best-Strategie“ entsprechend angepasst werden.
Die Planung, an welchem Krankenhaus auch ein INZ-Standort zu etablieren ist, muss den Gremien vorbehalten sein, die auch die Krankenhausplanung zu verantworten haben, eine einseitige Festlegung durch die KV ist nicht akzeptabel.
Telemedizinische Unterstützung in der Notfallmedizin
Die BAND e.V. begrüßt die im Gesetzesentwurf beschriebene Ausweitung des Potentials telemedizinischer Verfahren. Telemedizinische Anwendungen unterstützen Einsatzkräfte bei Notfalleinsätzen und erzeugen zusätzliche Handlungssicherheit. Der Einsatz telemedizinischer (not-) ärztlicher Unterstützung in Leitstellen kann zu einem ressourcenschonenden Einsatz der Rettungsmittel ebenso beitragen, wie zu einer zeitgerechten Konsultation bei ambulanten Fällen. Dabei muss bei Ausbau und Betrieb telemedizinischer Systeme ein sektorenübergreifender Ansatz verfolgt werden, der neben den rettungsdienstlichen Anforderungen auch neue Wege der ambulanten Versorgung eröffnet. Um die Chancen der telemetrischen Unterstützung möglichst breit zu nutzen, ist die Etablierung entsprechender digitaler Technologie und wissenschaftlicher Evaluation erforderlich. Der bisher im Gesetzentwurf vorgetragene Finanzierungsrahmen ist dafür noch völlig unzureichend.
Zusammenfassung
Die BAND e.V. erkennt die Notwendigkeit zur Veränderung in der Notfallversorgung und trägt die Verbesserungsvorschläge mit ihren Partnern im Rettungsdienst seit vielen Jahren vor. Wir sehen im vorliegenden Gesetzesentwurf erste gute Ansätze für notwendige Veränderungen, dennoch werden die selbstgesteckten Ziele nach effizienter Zusammenarbeit bei der Disposition von Notfallressourcen, nach besserer Verzahnung von stationärer und ambulanter Notfallversorgung sowie nach Entlastung von Notaufnahmen und Rettungsdienst mit diesem Entwurf verfehlt.
Eine Reduktion der Anzahl von Notaufnahmen – insbesondere in Flächenregionen – muss verhindert und die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung bei akuten Notfällen gewährleistet werden. Der Rettungsdienst muss leistungsfähige Notaufnahmen innerhalb von 60 min1) nach Notruf (incl. Anfahrt, Versorgung vor Ort und Transport) erreichen können, damit bei notfallmedizinischen Krankheitsbildern eine leitliniengerechte Versorgung möglich ist. Eine Verlängerung der Fahrtstrecken wird hilfsfristrelevante Bindungszeiten der rettungsdienstlichen Ressourcen zur Folge haben.
Durch Vorgaben von G-BA und Krankenkassen bei der Planung von Luftrettungsstandorten, Rettungsleitstellen, Rettungswachen und Rettungsmitteln wird die Weiterentwicklung des Rettungsdienstes als eigenständiges Element der staatlichen Daseinsfürsorge eingeschränkt.
Nach unserer Auffassung führt die geplante duale Finanzierung des Rettungsdienstes (Trennung von Betriebskosten und Investitions-/Vorhaltekosten) zu erheblichen Nachteilen im System. Am Beispiel der Krankenhäuser sind die bereits eingetretenen Fehlentwicklungen deutlich nachzuvollziehen.
Für Notfallpatienten des Rettungsdienstes darf die Weichenstellung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung nicht unter der fachlichen Verantwortung der KV stehen. Der hausärztlich zu versorgende Notfall unterscheidet sich deutlich von den im Rettungsdienst auftretenden, lebensbedrohlichen Notfällen. Es ist uns unverständlich, warum an dieser Stelle der Sicherstellungsauftrag der KV festgeschrieben und ausgeweitet werden soll. Innerhalb des Krankenhauses darf die Einrichtung eines INZ die Prozesse in der Versorgung rettungsdienstlich versorgter Notfälle nicht beeinträchtigen und verzögern. Diagnose und Therapie müssen im Krankenhaus unmittelbar erfolgen. Dies gilt insbesondere dann, wenn Notarzt oder Notfallsanitäter bereits entsprechende Verdachtsdiagnosen formuliert haben.
Wir begrüßen die Impulse zur Änderung in der Notfallversorgung in Deutschland und möchten uns in diesem Thema sehr gerne weiter in die Zukunftsgestaltung einbringen. Die BAND e.V. steht für die kommenden Entwicklungen und Konzepte als Ansprechpartner für die Belange der Notfallversorgung gerne auch in persönlichen Gesprächen zur Verfügung.
Quellen:
1) Fischer M. et al. Eckpunktepapier 2016 zur notfallmedizinischen Versorgung der Bevölkerung in der Prähospitalphase und in der Klinik. Notfall Rettungsmed 19:387–395; DOI 10.1007/s10049-016-0187-0. (https://www.springermedizin.de/eckpunktepapier-2016-zur-notfallmedizinischen-versorgung-der-bev/10351536)