BAND-Statement zur intranasalen Medikamentenapplikation in der prähospitalen Notfallmedizin
veröffentlicht in: Der Notarzt 2019; 35(05): 252-253
Florian Reifferscheid, Peter Gretenkort, Jörg Beneker
Wir haben uns im Rettungsdienst daran gewöhnt, dass nicht alles, was wir tun, in Gesetzen und Vorschriften geregelt oder legitimiert werden kann. Daher sind wir angesichts akuter Gefahr für Leib oder Leben eines Notfallpatienten gezwungen, Ausnahmen von Gesetzen und Vorschriften in Anspruch zu nehmen. Umso wichtiger ist es, dass die zugrundeliegenden medikolegalen Bedingungen immer wieder, insbesondere im Licht neuer Entwicklungen, diskutiert und klargestellt werden.
Aus Anlass einer kürzlich in der Zeitschrift „Der Notarzt“ veröffentlichten Arbeit zur „Medikamentenapplikation im akuten epileptischen Krampfanfall des Kindes“ (1) wollen wir unsere Sichtweise zur intranasalen Medikamentenapplikation in der prähospitalen Notfallmedizin darstellen.
In der Zusammenfassung des Beitrags wird beim Status epilepticus im Kindesalter die bukkale Anwendung von Midazolam in Form des Buccolam®, einer speziell für diese Indikation weiter entwickelten und zugelassenen Präparation, emfpohlen. Da Buccolam® auch zur Anwendung durch Eltern/Betreuungspersonen zugelassen sei, komme der Einsatz dieses Medikamentes sehr gut als Maßnahme des Rettungsdienstpersonals unter Berufung auf den „rechtfertigenden Notstand“ in Betracht, während die i.v.-Injektion von Midazolam weiterhin eine Off-Label-Option (nur) für erfahrene Ärztinnen und Ärzte darstelle. Die nasale Off-Label-Anwendung von Midazolam-Injektionslösung über ein MAD (mucosal atomization device) wird dagegen als obsolet bezeichnet.
In der Diskussion ist zunächst die Feststellung wichtig, dass im Status epilepticus des (Klein-) Kindes jede praktikable Alternative zum grundsätzlich schwierig anzulegenden intravenösen Zugang einen entscheidenden (Zeit-)Vorteil für das Rettungsteam bedeutet. Dies gilt in gleicher Weise für andere Notfallsituationen bei Kindern wie bei Erwachsenen. Beispielhaft sei hier die Analgosedierung bei Verbrennungen genannt. Beim kindlichen Krampfanfall war die rektale Anwendung von Diazepam für Jahrzehnte die gängige, wenn auch nicht immer gut akzeptierte Lösung. In der Notfallmedizin wurde Diazepam inzwischen weitgehend vom Midazolam abgelöst. Für den Anwender erscheint es hierbei auf den ersten Blick nicht so bedeutend, ob die alternative Anwendung über die Nasen- oder Mundschleimhaut erfolgen soll. Beides funktioniert aus pharmakokinetischer Sicht gut. Allerdings gibt es für die nasale Applikation von Midazolam -Injektionslösung keine formale Zulassung.
Für Mitarbeiter des Rettungsdienstes bedeutet „Off-Label“ allerdings eine besondere Hürde, zumal bereits die Rechtsunsicherheit für die selbständige Gabe zugelassener Medikamente durch Notfallsanitäter nicht restlos ausgräumt ist. Aus dieser Perspektive könnte es zunächst folgerichtig erscheinen, eine bukkale Midazolam-Präparation in den Vordergrund zu rücken, die speziell für den Einsatz beim kindlichen Status epilepticus entwickelt und zur Anwendung durch Eltern/Betreuungspersonal autorisiert wurde. Diese Autorisierung gilt allerdings mit einer wichtigen Einschränkung, nämlich nur dann, wenn bei dem Kind Epilepsie diagnostiziert wurde. Eine prinzipielle Analogie zum Einsatz durch Rettungsdienstpersonal unter einem rechtfertigenden Notstand bei einem kindlichen Krampfanfall (ohne gesicherte Epilepsie-Diagnose) ist damit nicht gegeben. Buccolam® ist keineswegs weniger risikoträchtig. Nebenwirkungen und Komplikationen (Atemdepression, Bradykardie, Herzstillstand, Blutdruckabfall, Apnoe, Dyspnoe und Laryngospasmus), die notfalls beherrscht werden müssen, unterscheiden sich nicht von denen bei Nutzung anderer Applikationswege. Über ein unterschiedliches tracheales Aspirationsrisiko der nasal oder bukkal applizierten Lösungen ließe sich diskutieren – wohl eher nicht zuungunsten der nasalen Zerstäubung.
In der Publikation wird darauf verwiesen, dass die Applikation systemisch wirksamer Medikamente außerhalb der in der Anwendungsbeschreibung festgelegten Zweckbestimmung des MAD liege und daher von der Medizinproduktebetreiberverordnung nicht gedeckt sei. Ein MAD sei für die Applikation topisch wirksamer Medikamente gedacht. Indirekt wird hierzu auf eine Internet-Quelle verwiesen, die inzwischen nicht mehr existiert. Die aktuellen Gebrauchsinformationen für das MAD gehen ausdrücklich von einer systemischen Absorption der verabreichten und für diese Anwendung zugelassenen Medikamente über die Schleimhautmembran in den Blutkreislauf aus (2).
Weiterhin sei es nicht möglich, mit der Midazolam-Injektionslösung (5 mg/ml) ausreichende Wirkdosen zu verabreichen. Dies wird mit der Angabe eines maximalen Resorptionsvolumens von nur 0,1 ml je Nasenloch begründet, womit die empfohlene Dosis von 0,2 mg/kg KG in keiner Gewichtsgruppe zu erreichen sei. Die nicht nach Gewicht oder Alter differenzierte Angabe eines maximalen Resorptionsvolumens hat in diesem Zusammenhang eher akademischen Charakter und lässt sich in dieser Form aus keiner der primär referenzierten Studien aus den 70er und 80er Jahren ableiten. Dosistabellen aus der klinischen Pädiatrie geben Gesamtvolumina (2 Nasenlöcher) von 0,3 ml (< 1 Jahr) bis 2 ml (Jugendliche > 50 kg) proportional zum Körpergewicht an. Auch höhere Dosen und Volumina (als Bolus und fraktioniert) wurden in einer randomisierten Studie zur effektiven Sedierung von Kleinkindern für kleinere Wundbehandlungen untersucht (3).
Midazolam-Injektionslösung (i.v., i.m. oder rektal) ist bei Kindern zugelassen für die Indikation Analgosedierung, Prämedikation vor Narkose und Sedierung auf der Intensivstation. Jedoch wird Midazolam-Injektionslösung „off-label“ von Kinder- und Notärzten seit vielen Jahren auch nasal eingesetzt, nicht nur zu Analgesie und Sedierung, sondern auch zur Durchbrechung von Krampfanfällen. In den Empfehlungen des „Pyramidenprozesses“ wird die nasale Gabe von Midazolam („off-label“) als eine von mehreren Möglichkeiten (neben bukkaler, rektaler oder intravenöser Anwendung von Midazolam, Diazepam, Lorazepam und Clonazepam) für Notfallsanitäter im Rahmen der Mitwirkung bei vorgegebenen heilkundlichen Maßnahmen aufgeführt (4). Sowohl in der deutschen AWMF-Leitlinie (5) als auch in der amerikanischen Epilepsie-Leitlinie (6) stehen die bukkale und nasale Anwendung von Midazolam bei (noch) nicht etabliertem intravenösem Zugang als gleichwertige Maßnahmen zur Initialbehandlung eines Status epilepticus nebeneinander. Eine kürzlich publizierte Cochrane-Analyse ergab, dass beide Anwendungsformen effektive Alternativen zur intravenösen Gabe von Benzodiazepinen sind (7). In der amerikanischen Leitlinie findet sich darüber hinaus die intramuskuläre Gabe von Midazolam als First-Line-Therapie mit höherem Empfehlungsgrad als die nasale oder bukkale Verabreichung (6).
Unter praktischen Aspekten ist anzumerken, dass die Midazolam-Injektionslösung auch für andere Indikationen im Rettungsdienst verwendet werden kann und nicht in nach Altersgruppen gestaffelten Ampullengrößen vorgehalten werden muss. Die Dosis einer nasalen Applikation über MAD kann individuell auf das Körpergewicht angepasst werden. Bei Kindern unter 6 Monaten ist, wie bei den anderen Applikationsformen auch, beim präklinischen Einsatz besondere Zurückhaltung geboten.
Die BAND sieht derzeit keinen Anlass, die intranasale Gabe von Midazolam-Injektionslösung über ein MAD als bewährte Methode zur Behandlung eines fortbestehenden Krampfanfalls bei (noch) nicht etabliertem Venenzugang – insbesondere bei Kindern – aus den Empfehlungen für den Rettungsdienst herauszunehmen. Auch bei Off-Label-Indikation ist die Anwendung durch entsprechend ausgebildete Notfallsanitäter im Rahmen standardisierter Vorgaben prinzipiell möglich, wobei die Verantwortung beim verordnenden Arzt (ÄLRD) liegt. Dies wird in einer Stellungnahme des Bundesverbandes der ÄLRD aus 2017 herausgestellt, in welcher die Rechtsprechung des Bundesozialgerichtes (BSG) berücksichtigt wird (8). Off-Label-Anwendung ist nach dem BSG grundsätzlich zulässig bei lebensbedrohlichen oder gesundheitsbedrohenden Erkrankungen, bei fehlender Verfügbarkeit zugelassener Therapien und zugleich begründeter Aussicht auf einen Behandlungserfolg. Wo die Möglichkeit besteht, sollen Präparate mit spezifischer Zulassung eingesetzt werden.